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Meine Deutschlandreise auf die höchsten Berge aller 16 Bundesländer- Rezensiert in der SZ von Stefan Fischer
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Achim Bogdahn hat die höchsten Berge aller deutschen Bundesländer bestiegen. Ohne prominente Sherpas hätte er das niemals gewagt.
Die Pandemie hat den Deutschen ihr Land noch einmal nähergebracht. Denn Menschen, die ihren Urlaub sonst lieber auf Kreta oder in Schweden verleben, verbrachten die Ferien in den vergangenen drei Sommern häufiger mal im Harz oder auf Rügen. Die Krise wurde zur Chance, etwas naheliegend Unbekanntes kennen und schätzen zu lernen.
Achim Bogdahn, Radiomoderator und -DJ beim Bayerischen Rundfunk, hätte diese Pandemie allerdings beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sein Vorhaben, die höchsten Berge aller 16 Bundesländer zu besteigen, und zwar jeweils in prominenter Begleitung, geriet auf halber Strecke durch das Coronavirus ins Wanken. Doch Bogdahn blieb hartnäckig, plante noch häufiger um, als er das wohl ohnehin hätte tun müssen - und absolvierte somit, über viele Monate hinweg, eine spannende Deutschlandreise in 16 anregenden Etappen.
Bergsteigerisch kommt Bogdahn das Projekt offenkundig sehr entgegen: Er sei "sportlich ambitionslos", schreibt er im Vorwort seines durchweg so gut gelaunten wie selbstironischen, oft auch gewitzten Abenteuerberichtes "Unter den Wolken" - es sei denn, wenn es darum gehe, die Fußballer des TSV 1860 München anzufeuern. Dann kennt Bogdahns Ehrgeiz keine Grenze. Aber selbst aktiv werden? Bogdahn: "Ich bin der Mann, der halbhoch hinaus will." Auf Gipfel also, die zwischen knapp 700 und gut 1200 Meter hoch sind, wie der Dollberg im Saarland (695 Meter), der Erbeskopf in Rheinland-Pfalz (816 Meter), der Wurmberg in Niedersachsen (971 Meter) oder der Fichtelberg in Sachsen (1214 Meter). Das sind Bergtouren, die auch für Menschen mit durchschnittlicher Kondition und überschaubarer alpinistischer Routine gut zu bewältigen sind. Bloß nichts übertreiben.
Beeindruckt hat Bogdahn im Jahr 2018 eine Zeitungsnotiz über Benno Schmidt, bekannt als Brocken-Benno. Schmidt, inzwischen 90 Jahre alt, hat den Gipfel des Brocken mehr als 9000 Mal bestiegen. Als Kind war er oft auf diesem Berg, zu DDR-Zeiten war der Brocken dann jedoch für Jahrzehnte Sperrgebiet. Als in Berlin die Mauer fiel, habe sich hier im Harz erst einmal ein paar Tage lang nichts geändert. Erst am 3. Dezember 1989 hätten ein paar einheimische Bergsteiger auch die Maueröffnung auf dem Brocken erzwungen, sagt Schmidt. Er war einer von ihnen, und sie sind jeden Tag hinauf, um zu kontrollieren, ob die Grenze tatsächlich geöffnet bliebe. Seither zählt er seine Besteigungen - mitunter ist er sogar zweimal am Tag auf dem Gipfel gewesen. Seinen Spitz- trägt er als Ehrennamen.
Mit ihm hat Bogdahn, der grundneugierig ist auf Menschen, sich verabredet, um gemeinsam auf den Brocken zu wandern. "Ein Männlein geht im Walde", kommt dem Autor spottlustig in den Sinn, als er den deutlich älteren Schmidt vor sich hermarschieren sah: "Wobei, das Männlein ging nicht, es rannte", musste Bogdahn rasch erkennen. Er war es, der körperlich an seine Grenzen geraten ist bei dieser Tour; auch deshalb, weil er nicht eben Glück hatte mit dem Wetter - das sollte ihm noch des Öfteren passieren, nicht nur hier in Sachsen-Anhalt. Nun, im Fall des Brockens ist das nicht verwunderlich: Es ist Ende November, als die beiden ihre Tour unternehmen. Die Bedingungen sind also erwartbar katastrophal.
Aber Bogdahn hat an diesem Herbsttag 2018 dennoch Spaß an der Sache gefunden. Und so wie am Brocken würde der Wahl-Münchner aus Mittelfranken es auch in Zukunft halten, das hatte er sich vorgenommen: Sich in jedem Bundesland einen Partner oder eine Partnerin suchen und gemeinsam in die Berge gehen. "Betreutes Wandern mit ortskundiger Prominenz", nennt Bogdahn das. Nicht jede Tour ist so anspruchsvoll wie die auf den Brocken. In Bremen zum Beispiel gibt es sogar Häuser, die höher sind als die Erhebung im Friedehorstpark, auf die der ehemalige Bürgermeister Henning Scherf ihn begleitet.
Die erste Hälfte der Gipfel schafft Bogdahn vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Wenn es bis dahin Komplikationen gegeben habe, dann aufgrund seiner "Vorliebe für selbst verursachte Schwierigkeiten". Da ist zum einen eben die Sache mit den prominenten Begleitern. Bogdahn musste sie von seinem Vorhaben überzeugen und dann auch noch gemeinsame Termine finden. Als dem Schauspieler Devid Striesow, mit dem er in Mecklenburg-Vorpommern die 179 Meter hohen Helpter Berge ansteuert, klar wird, dass Bogdahn für diese Tour extra aus München angereist ist, entfährt ihm: "Ist das bescheuert!" Und schiebt hinterher: "Das gefällt mir. Sie nehmen die Sache ernst, oder?" Ja, das tut Achim Bogdahn.
Und dann ist da eben stets die Anreise. Bogdahn hat sich entschieden, konsequent die Bahn nutzen - die wenigsten Berge stehen jedoch unmittelbar neben einem ICE-Bahnhof. Und so ist dieses Buch nicht nur eines übers Wandern, sondern auch eines übers Zugfahren - entlang der Hauptrouten ebenso wie tief in die deutsche Provinz hinein. Oftmals nehmen die Schilderungen dieser Bahnreisen und der Couchsurfing-Bekanntschaften in den einzelnen Kapiteln mehr Raum ein als der eigentliche Gipfelanstieg und die Plaudereien mit zum Beispiel Edgar Reitz, Margot Käßmann, Manuel Andrack, Kati Wilhelm, Felix Neureuther oder Mehmet Scholl.
Es sind sehr unterschiedliche Milieus und Mentalitäten, die Bogdahn manchmal nur streift, in der er andernorts aber auch tiefer eintaucht. Das bietet zahlreiche Gelegenheiten, Vorurteile abzustreifen - über Bewohner bestimmter Bundesländer (Sachsen), Angehöriger bestimmter Berufe (Polizistinnen) und die Attraktivität deutscher Landschaften, die nicht an die Alpen grenzen oder ans Meer (Hunsrück).
"Unter den Wolken" ist letztlich ein Buch über Deutschland und auch über verschiedene Heimatbegriffe. Heimat sei etwas gewesen, vor dem er sich als junger Mann habe in Sicherheit bringen wollen, erzählt etwa Edgar Reitz - dessen wichtigstes filmisches Werk seine "Heimat"-Trilogie ist. Auf dem Erbeskopf, eine Autoviertelstunde von seinem Geburtsort Morbach, war der Regisseur vor dem Ausflug mit Achim Bogdahn vierzig Jahre lang nicht mehr gewesen. Mit dem ehemaligen Diskuswerfer Lars Riedel wiederum besucht der Autor den ehemaligen Skispringer Jens Weißflog in dessen Hotel in Oberwiesenthal. Bei Weißflog hat man nicht das Gefühl, dass er irgendwann einmal den Drang verspürt hätte, sich vor seiner Heimat in Sicherheit bringen zu wollen.
Mit großer Herzlichkeit begegnet Bogdahn den Menschen, mit Neugier und Duldsamkeit den Zufälligkeiten des Reisens. Er macht aber auch keinen Hehl daraus, wenn er sich unwohl oder unsicher fühlt oder wenn er sauer ist, weil ihm jemand blöd kommt. Hin und wieder kommt auch er anderen blöd: In Brandenburg fragt ihn eine Verkäuferin, ob er eine ganze oder eine halbe belegte Schrippe möchte. Das Konzept, nur eine halbe Wurstsemmel zu erwerben, kennt er nicht, und er kann damit auch nichts anfangen. Deshalb fragt er zurück, ob er die halbe Schrippe mit Kopf oder Zahl einer Münze bezahlen solle.
Derlei macht Bogdahns Schilderungen sympathisch: Er ist nicht unterwegs als einer, der alles schon kennt und weiß und schon einmal gehört oder gesehen hat. Er lässt sich überraschen und auch irritieren; und so wie er manchmal auf Dünkel trifft, ist er ab und an selbst dünkelhaft. Wobei er sich meistens dabei ertappt.
Gnädig sich selbst gegenüber ist er indessen in Bezug auf seine Neigung zur Geschwätzigkeit: Immer wieder bricht der Radioplauderer durch, der noch eine Anekdote kennt und noch eine Geschichte zu erzählen hat. Die Berge verschwinden bei diesen Gelegenheiten hinterm Horizont. Andererseits wäre Bogdahn kein Radio-DJ, wenn es am Ende des Buches nicht eine Playlist gäbe, mit zwei, drei, vier Songs für jedes Bundesland, abrufbar über einen QR-Code: "Du bist schön von hinten" von Stereo Total (Berlin), "Karl-Marx-Stadt" von Kraftclub (Sachsen) und "Boneless" von The Notwist (Bayern). Reicht für eine mehrstündige Zugfahrt, wenn mal wieder nur Deppen oder Langweiler mitfahren.
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