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Roman | Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 | Empfohlen von Marie Schmidt, Süddeutsche Zeitung
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In der kleinen schottischen Stadt Stromness auf den Orkney Inseln lebt Paul, ein Schweizer Dekorateur und Inneneinrichter. Als er von einem Design-Magazin einen obskuren, aber lukrativen Auftrag aus Norwegen erhält, begibt er sich auf eine Reise, die ihn an die Grenzen seiner Welt und weit darüber hinaus führt.
Christian Krachts Roman aus dem Geiste einer radikalen Romantik erzählt eine faszinierende Geschichte vom Hier und vom Dort und katapultiert uns aus unserem Jetzt, aus unserer spätmodernen, leerlaufenden Zivilisation in eine gleißende, verspiegelte Landschaft der Literatur. Unser Leben: ein Traum.
Der frühere Popliterat Christian Kracht betrachtet das Altern seiner Kunst - und schreibt zum Trost ein Kinderbuch von Astrid Lindgren als Roman für Erwachsene neu: „Air“ ist ein spielerisches, melancholisches Vergnügen.
Vor dreißig Jahren ist Christian Krachts Debütroman „Faserland“ erschienen, und die Zeit hat gereicht, um zwei bis drei Generationen von Fans und Feinden in einen milden Wahnsinn zu treiben. Diese produktive Paranoia, die in allem, was Kracht schreibt und tut, Zeichen erkennt, hintergründige Bedeutungsebenen, Signale an Kenner, Konsumvorschläge. Hinweise können sich in seinen Texten aber auch auf Autorenfotos und Buchumschlägen finden, in Interviews und während seltener öffentlicher Auftritte des Autors mit Bart oder ohne, Jackett oder Gummistiefeln.
Die Suche in den Tiefen von Krachts Literatur hat sein Werk sowohl mit „Ironie“ in Verbindung gebracht, also mit dem Verdacht, er sage etwas fundamental anderes, als er meint – als auch mit der reinen Affirmation der „Oberfläche“. Die Deutung drohte zu kippen, als 2012 im Spiegel behauptet wurde, Kracht, der entscheidende Momente seiner Bücher mit Abscheu vor deutschen Nazis und Totalitarismen verbracht hatte, bediene hinterrücks selbst rechtes Gedankengut. Kracht sagte dazu nichts und wurde von anderen stürmisch verteidigt.
Kurz darauf musste die Kracht-Gemeinde ihr Bild des ewig undurchschaubaren Autors wieder revidieren, als er in einer Poetikvorlesung 2018 unwahrscheinlich offen vom Missbrauch durch einen anglikanischen Priester erzählte, den er selbst als Schüler eines Internats in Kanada erlebt habe. Ein Moment der Authentizität, der den Exegeten das Sortieren der autobiografischen und fiktionalen Anteile seines Romans „Eurotrash“ von 2021 leider nicht erleichtert hat.
Früher ärgerte Kracht mit diesen flickernden Sinnangeboten das Establishment. Heute ist er 58 Jahre alt, und viele seiner Weggefährten und treuen Leser sind das Establishment. Gerade ist „Eurotrash“ für den International Booker Prize nominiert worden, und kurz bevor jetzt sein Roman „Air“ erscheint, landete Kracht damit auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis. Die beiden Bücher sind denkbar verschieden, aber auch das neue ist wieder voll prächtigem Material für Kracht-Hermeneuten und -Kanoniker. Während die noch Luft holen, sagt aber garantiert wieder jemand (und sei es der Autor selbst): Es ist einfach eine gute Geschichte, es geht hier doch nur ums Erzählen.
Das stimmt ja, auch. „Air“ handelt vom Innenarchitekten Paul, der auf den Orkneyinseln lebt, und Cohen, dem Chefredakteur der von Paul verehrten Stil-Zeitschrift Kūki. Die Männer sind im Alter würdigen Ergrauens und an einem Ende angelangt in ihrem Kreisen um die Distinktion durch Geschmack. Sie wirken recht allein, womöglich erschöpft. Die Kūki-Ästhetik, die Paul auslebt, besteht aus ungebleichten Schafwollteppichen, Steingutschalen und Sauerteigbrot, einer voraussetzungsreichen stilistischen Askese, die allmählich ins Esoterische lappt.
Jedenfalls reist Paul begeistert zur Redaktion von Kūki in Norwegen, als ihm Cohen den Auftrag verschafft, ein riesiges Rechenzentrum in Stavanger im „perfekten Weiß“ anzustreichen. Also den Ort, an dem jede „einzelne Fotografie der jährlichen Trillionen mit Mobiltelefonen aufgenommenen Erinnerungen“ gespeichert werde, wieder zum White Cube, wenigstens äußerlich zur leeren Fläche zu machen. Als Paul das Datacenter besucht, gerät durch einen planetaren Magnetsturm etwas durcheinander, und der Mann verschwindet.
Auf einer zweiten Handlungsebene allerdings taucht im Leben eines neunjährigen Mädchens, das in einer Sagenwelt in der Nähe des Südpols allein im Wald lebt, ein Fremder in einer weißen Kutte auf. Sie heiß Ildr und verletzt ihn mit Pfeil und Bogen. Als sie ihn gesund pflegt, stellt sich heraus, dass er vom grausam über das Land herrschenden Herzog gesucht wird. Die beiden fliehen weiter nach Süden, in eine unwirtliche Eiswelt, wo sie eine karg, aber friedlich lebende Exilgesellschaft entdecken. Auch Cohen findet seinen Weg zu ihnen, und die drei, ein Hund und ein Pferd erleben manche Abenteuer.
Eine Geschichte von Freundschaft, Erfindungsgabe und guten wie bösen Mächten in polaren Märchenlandschaften, erzählt in einem luftigen, die Sinnlichkeit wundersamer Reisen genießenden Tonfall, ganz ohne die leise zynische Verzweiflung von „Eurotrash“. Im Gesamtœuvre von Kracht womöglich eher ein spielerisches Nebenwerk, aber immerhin eine Geschichte vom Sterben und vom Überleben, nicht weniger.
Damit könnte man es gut sein lassen, aber die Verweise, Zitate, Metaebenen entwickeln wieder diesen irren Sog. Also hinab, hinab in den Kaninchenbau möglicher Fußnoten zu Christian Krachts „Air“: Den entscheidenden Intertext, das Buch, das Kracht hier gewissermaßen für Erwachsene neu schreibt, nennt er auf den ersten Seiten. Es ist Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“. Eine Geschichte für größere Kinder, in der der ältere Jonathan seinem sterbenskranken kleinen Bruder erzählt, nach dem Tod gelange man ins legendäre Land Nangijala.
Dort treffen sich die Brüder später und bestehen Mutproben, denn, wie Jonathan sagt: „Manchmal muss man etwas Gefährliches tun, weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuflein Dreck.“ Auch wenn es einen selbst in dieser Jenseitswelt das Leben kosten kann, aber der Trost besteht darin, dass hinter diesem ein weiteres Land liegt: Nangilima. Eine zu Tränen rührende Erzählung vom Tod, die mit William Butler Yeats’ „The Song of Wandering Aengus“, den Kracht dem Roman als Motto voranstellt, und diesem selbst gemeinsam hat, dass darin die Ebenen von Traum und Wachen, Diesseits und Jenseits, Wirklichkeit und Fantasie hintereinander gestaffelt ins Unendliche zu führen scheinen.
Dieses Yeats-Gedicht gehört zu den Elementen außerhalb der Handlung, die „Air“, das Buch, zu einem Objekt der darin entworfenen ästhetischen Sphäre machen. Wie das Autorenfoto, auf dem Kracht schwarz-weiß, nackte Fesseln, Brille in der linken Hand und ansonsten im Gegenlicht in unkenntliche Schwärze gehüllt zu sehen ist. Womit er sich in die Reihe der etwas überdrüssig sich selbst auflösenden Männer seiner Geschichte einordnet.
Also geht es doch auch wieder um ihn, den Ästheten Kracht, der ja mit „Faserland“ mal eine Art Jugendbewegung anführte. Man nannte sie „Popliteratur“, und die ersten Sätze von „Air“ winken ihr elegisch zu: „Das Leben war voller Sorgen, aber auch wieder nicht. Es war eine Zeit, in der viele Dinge schnell erworben und dann wieder vergessen wurden.“ „Expandable (easily forgotten)“ lautet der Stichpunkt aus der Pop-Definition des Malers Richard Hamilton, zu verbrauchen und leicht zu vergessen.
Eine in Hinblick auf das literarische Establishment, dem Kracht nun eben inzwischen angehört, enorm respektable Überlegung dieses Buches besteht in der Frage, wie die volatilen Stilgemeinschaften gealtert sind, aus denen die Pop-Ästhetik im Wesentlichen bestand. Und es ist ein witziger Gedanke, dass die letzte Umdrehung der Distinktion in der japanisch-skandinavischen Reduktion des guten Geschmacks besteht.
Eine Reduktion auf erdige Keramik, naturbelassene Wolle und archaische Lebensmittel, die man tatsächlich in bestimmten Einrichtungsgeschäften, Instagram-Ecken und dänischen Sternerestaurants bewundern und teuer bezahlen kann: „Das Hauptproblem an Kūki war ja“, steht da in bemerkenswert unkrachtischer Ideologiekritik, „daß es das als begehrenswert abbildete, was die Moderne selbst zerstört hatte. Kūki überführte das fast Vergessene in den Postkapitalismus, um das Versunkene erneut als Ware anbieten zu können, allerdings zum hundertfachen Preis. Am besten, man brachte sich einfach um.“
Einen anderen künstlerischen Gegenentwurf zum Stress der Stilavantgarden zitiert Kracht mit der Wahl des Covermotivs für „Air“: Es ist ein Bild des norwegischen Malers Odd Nerdrum, der gegen die Moderne einen ziemlich speziellen Begriff von Kitsch gesetzt hat: „Wenn Originalität dein oberstes Ziel ist, machst du keinen Kitsch“, steht im Dogma der Nerdrum-Schule: „Das Verlangen, seine eigene Melancholie durch Handwerk auszuarbeiten, ist die Qualität des Schöpfers von Kitsch.“
Nerdrums figürliche Gemälde sind in Nebel- und Erdtönen gehalten, seine Gestalten archaisch Versehrte, oft als Vereinzelte wie delirant auf einen Horizont starrend, nackt, in Felle, Filzkappen, Zwangsjacken oder diese seltsamen Kokons gewickelt, die auch in „The Black Cloud“ zu sehen sind, dem Bild auf dem Umschlag von Krachts Roman. Auf manchen Nerdrum-Gemälden enden diese Menschenhüllen in einem Wurstzipfel oder Phallus, sie sehen aus wie Fatschenkinder oder wie hier eher wie Mumien: Da weist eine männliche, gerade aus Tod oder Schlaf wiedererwachte Gestalt über einen Silberstreifen am Horizont hinweg auf eine aus schwarzem Himmel niederrauschende dunkle Form. Mit gekrümmtem Finger, als wollte sie sie locken.
Natürlich hat man Nerdrum, wie eben auch Kracht oder Lars von Trier, an dessen Filme das alles denken lässt, finstere Gedanken vorgeworfen, ihn als Rechten sehen wollen. Tatsächlich ist diese Ästhetik aber, so grausig sie aussieht, weniger reaktionär als regressiv: Sie glaubt an Archetypen, einfache Ängste, Körper und Begierden, an etwas ganz treuherzig „Menschliches“. In einem Essay über Nerdrum im Spiegel sah der entschieden rückwärtsgewandte Dichter Botho Strauß in dessen Werk die Antwort auf folgende Frage: „Aber was ist stark genug, Bild-Keil genug, um sich zwischen uns und den Design-Müll zu schieben, zwischen uns und diese ansteigende Halde von ausgelöffelten Joghurtbechern?“
Dem Ästheten, der in jedem Joghurtbecher eine Kränkung seines Empfindens erblickt, will man nur zurufen: Viel Glück, Mann! Und das Lächerliche solchen Retro-Trotzes entgeht einem wie Christian Kracht natürlich nicht. Wie man an der Szene sieht, in der sein Innenarchitekt Paul auf einem schweren Schweizer Militärfahrrad über die felsige schottische Insel hechelt, um ein ganz besonderes Sauerteigbrot zu erwerben, das ihm dann auf die verregnete Straße fällt, sobald er es in seinem Wollpullover unangenehm schwitzend endlich erlangt hat.
Sicher steht das Nerdrum-Bild außen auf dem Buch in einem interessanten Verhältnis zu einem Gemälde von James Archer, das eine wichtige Rolle in der Geschichte spielt und den mythischen Magier Merlin im weißen Umhang zeigt, wie er einen müden Ritter Lancelot auf dem Pferd aus dem Bild führt. Ist Merlin, „Wilder, Wunderkind, Prophet, Poet, Ratgeber, Zauberer und Liebender“, wie es in der Fachliteratur heißt, archaischer Repräsentant des Künstlers, also Krachts selber in der fiktionalen Welt? Und was hat es mit den verschiedenen, immer entlegeneren, menschenferneren Häuschen auf sich, die in „Air“ so sehnsüchtig geschildert werden? Die professionellen Kracht-Leser haben viel zu tun. Für die anderen kann dieser Roman ein Vergnügen sein.
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