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Katja Petrowskaja: „Als wäre es vorbei“: Raketeneinschlag und nichts zuckt. Empfohlen von Nicolas Freund
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Wie verändert der Krieg die Bilder? Wie verändert er das Sehen? Wie verändert er diejenigen, die ihm standhalten oder die ihm zuschauen?
Mit ihren Fotokolumnen, die zwischen Februar 2022 und Herbst 2024 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen sind, hat Katja Petrowskaja absichtslos eine Chronik des Ukraine-Krieges geschrieben. Sie beginnt am Vorabend, mit einer Landschaft in Georgien, entlang der Großen Heerstraße. Tiere. Kriegsgefahr liegt in der Luft. Auf der nächsten Seite der Schrei: Mein Kiew! Die unfassbare Realität des Krieges, das Einbrechen des Ungeheuerlichen ins eigene Leben.
Der Krieg verunsichert den Blick. Man sieht Bilder lächelnder Menschen und fragt sich unwillkürlich, ob sie noch leben. Ein Mann steht in einem Loch, mitten auf einer Straße, »als probiere er den möglichen Tod an, als wäre der Tod seine neue Kleidung«. Ein bleiches, lachendes Mädchen, an eine ältere Frau geschmiegt. Aus der Geschichte hinter diesem Bild springt einen hinterrücks die Erkenntnis an, dass selbst das Unwahrscheinliche doch möglich ist - in dieser Zeit auch der Wunder.
Wir haben uns an den Krieg in der Ukraine längst gewöhnt. Die Fotokolumnen der Schriftstellerin Katja Petrowskaja zeigen: nichts ist normal, nichts ist vorbei.
Vollständige Rezension anzeigen Katja Petrowskaja: „Als wäre es vorbei“: Raketeneinschlag und nichts zuckt. Empfohlen von Nicolas Freund Was sehen wir noch, wenn wir Bilder aus der Ukraine sehen? Die müden Augen der Soldaten in den Schützengräben. Familien und Kinder vor den grauen Trümmern ihrer Wohnhäuser. Junge Männer und Frauen, die auf den Treppen der Metro von Kiew ihre Laptops auf den Knien haben und arbeiten, als würde über ihnen nicht gerade der Tod über die Stadt fegen. Wir kennen diese Bilder. Aus dem Fernsehen, aus der Zeitung, aus den sozialen Netzwerken. Sie sind längst in ihrem eigenen Rauschen untergegangen, perlen ab, an einer Mischung aus Selbstschutz und seltsamer Vertrautheit. Heute wieder Raketen auf Kiew. Wir haben uns an den Krieg gewöhnt und zugleich wirkt es aus der Sicherheit Westeuropas manchmal, als wäre es schon vorbei. „Als wäre es vorbei“. Das ist der Titel des neuen Buches der ukrainischen Schriftstellerin Katja Petrowskaja, und man kann ihn so verstehen, als würde er nicht nur den Wunsch nach einem Ende des Krieges ausdrücken, sondern auch dieses abgestumpfte Gefühl, das sich langsam einschleicht, vorwiegend bei allen, die dem Krieg nicht täglich ausgesetzt sind. Denn auch Petrowskaja hat den großen Teil dieser Kolumnen, die ursprünglich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der Zeit und der Süddeutschen Zeitung publiziert wurden, nicht mit dem Laptop auf dem Schoß in der Kiewer U-Bahn, sondern in Berlin auf Deutsch geschrieben. Also aus der Perspektive aller, die aus der Ferne auf die Ukraine blicken. Sie ist seit Beginn des Krieges auch in ihre Heimat gereist, und das Buch beginnt in Georgien, kurz vor der großen russischen Invasion in der Ukraine. Aber es geht ihr gerade um diesen distanzierten Blick auf den Krieg, das Erleben über Bilder und Texte und wie es sich verändert. Die fallenden Sterne in einem Video auf Instagram sind Brandbomben aus Magnesium Jeder der kurzen Texte, die im Abstand von drei Wochen erschienen sind, wird von einem oder mehreren Fotos begleitet. Eine ältere Frau in einem schwarzen Pelzmantel, hinter ihr ein lichterloh brennendes Haus. Ein scheinbar endloser, von Wald gesäumter Friedhof bei Irpin. Ein Mann, der in einem Bombenkrater steht. „Als probierte er den möglichen Tod an“, schreibt Petrowskaja dazu und belässt es aber nicht bei solchen treffenden Beschreibungen, wie sie auch nicht bei den Fotos bleibt, die man erwarten würde. Da ist auch eine 100 Jahre alte Postkarte aus Uman, wo während der Entstehung der Kolumne dazu gerade eine russische Rakete ein riesiges Loch in ein Wohnhaus gesprengt hat. Da ist ein tanzender Rabbiner und ein Regenbogen über Berlin und ein Sternenregen, wie aus dem Märchen oder mindestens einer verheißungsvollen Silvesternacht. Die fallenden Sterne, die sie in einem Video auf Instagram gesehen hat, sind Brandbomben aus Magnesium. Sie erzeugen „ein riesiges Feuer, das man kaum löschen kann“, schreibt Petrowskaja. „Der Himmel leuchtet. Danach brennt die Erde.“ So unheimlich wie die todbringenden Sterne findet Petrowskaja, welchen Effekt dieses Video aus einem sozialen Netzwerk auf sie hatte. „Ich schaute mir das Video noch einmal an“, schreibt sie „und sah die irritierende Schönheit, die, nun war es offensichtlich, den Tod in sich barg.“ Was sagt das über uns aus, dass diese Bilder aus dem Krieg für uns manchmal von so bewegender Schönheit sind? Darf der Tod das überhaupt, schön sein? Nicht immer hat Petrowskaja auf ihre Fragen eine Antwort. Trotzdem sucht sie in großen, aber nie beliebigen Assoziationsräumen danach. Den Sternenregen versucht sie im verregneten Dresden mit den Bildern von Otto Dix aus dem Ersten Weltkrieg, mit den Mobiltelefonen, die den Tod als Nachricht zu uns tragen, in Gedanken an die an antike Helden erinnernden Verteidiger des eingekesselten Mariupol irgendwie einzuordnen. Sie zitiert eine Krankenschwester, die nicht mehr lebt, aus der Hafenstadt: „Sie können sich nicht vorstellen, was hier los ist.“ Und manchmal muss man es auch dabei belassen. Petrowskaja kartiert Orte des Seins und des Denkens, die sich, wie der schöne Tod, nicht richtig in unsere Lebenswelt einfügen wollen, deshalb aber nicht weniger real sind. Denn die Bilder allein können das nicht leisten. Nicht nur verlieren sie ihre Schärfe, sie können auch verharmlosen, da sie stets nur einen Ausschnitt zeigen und damit auch nur einen Ausschnitt des Schreckens. „Jede Explosion erzeugt Fotos, als wären sie selbst Scherben der Zerstörung.“ Wieder einer dieser Sätze, die man Volltreffer nennen würde, wäre man von Petrowskaja nicht längst für solche Details der Sprache und der Bilder sensibilisiert. Und für das, was man den Bildern nicht ansieht. Da ist das Foto einer Frau, die ein Mädchen umarmt, wahrscheinlich ist es ihre Tochter. Die beiden stehen im Freien, hinter ihnen kann man ein Fenster und die Hauswand erkennen. Das Lächeln des Mädchens ist erfüllt, das der Mutter starr, nur an den Augen erkennt man, dass etwas nicht stimmt. Es ist ein starkes Foto, aber es gibt zahllose davon in den sozialen Netzwerken und Nachrichtenagenturen. Beim Blättern durch Petrowskajas Buch bleibt man erst kaum daran hängen, zu eindrücklich sind noch andere Bilder wie der Sternenregen. Allein hat das Bild keine Chance, zu erzählen, was es eigentlich zeigt. Deshalb erzählt Petrowskaja die Geschichte zu dem Bild. Sie hat recherchiert und herausgefunden, wen es zeigt. Es sind eine Mutter und ihre Tochter aus Isjum. Sie hatten sich im Haus und im Keller vor Luftangriffen und den russischen Besatzern versteckt. Das Bild zeigt sie, wie sie zum ersten Mal seit Monaten ihr Haus wieder verlassen. Zum ersten Mal seit Monaten. Petrowskaja schlägt mit ihren Bildern und Texten Breschen in den Wahnsinn, den dieser Krieg in Europa noch immer jeden Tag über uns ausschüttet. Dabei gibt es gar nicht immer einen Kern, den es freizulegen gilt oder etwas, das alle anderen vermeintlich übersehen haben und das nun sie altklug hinzufügt. Es geht vielmehr um das Sortieren dessen, was ist; um das Nachdenken, ohne in den Spurrillen zu verharren, die der Schrecken nach sich zieht. Um immer wieder zu zeigen, was das eigentlich bedeutet, was wir auf diesen Bildern sehen und was wir über die Geschehnisse in der Ukraine lesen. Den Krieg nicht harmlos werden lassen. „Die Müdigkeit ist eine Waffe des Krieges“, schreibt sie. Ihr Buch ist ein Weckruf für alle, die diese Müdigkeit spüren.
Was sehen wir noch, wenn wir Bilder aus der Ukraine sehen? Die müden Augen der Soldaten in den Schützengräben. Familien und Kinder vor den grauen Trümmern ihrer Wohnhäuser. Junge Männer und Frauen, die auf den Treppen der Metro von Kiew ihre Laptops auf den Knien haben und arbeiten, als würde über ihnen nicht gerade der Tod über die Stadt fegen. Wir kennen diese Bilder. Aus dem Fernsehen, aus der Zeitung, aus den sozialen Netzwerken. Sie sind längst in ihrem eigenen Rauschen untergegangen, perlen ab, an einer Mischung aus Selbstschutz und seltsamer Vertrautheit. Heute wieder Raketen auf Kiew. Wir haben uns an den Krieg gewöhnt und zugleich wirkt es aus der Sicherheit Westeuropas manchmal, als wäre es schon vorbei.
„Als wäre es vorbei“. Das ist der Titel des neuen Buches der ukrainischen Schriftstellerin Katja Petrowskaja, und man kann ihn so verstehen, als würde er nicht nur den Wunsch nach einem Ende des Krieges ausdrücken, sondern auch dieses abgestumpfte Gefühl, das sich langsam einschleicht, vorwiegend bei allen, die dem Krieg nicht täglich ausgesetzt sind. Denn auch Petrowskaja hat den großen Teil dieser Kolumnen, die ursprünglich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der Zeit und der Süddeutschen Zeitung publiziert wurden, nicht mit dem Laptop auf dem Schoß in der Kiewer U-Bahn, sondern in Berlin auf Deutsch geschrieben. Also aus der Perspektive aller, die aus der Ferne auf die Ukraine blicken. Sie ist seit Beginn des Krieges auch in ihre Heimat gereist, und das Buch beginnt in Georgien, kurz vor der großen russischen Invasion in der Ukraine. Aber es geht ihr gerade um diesen distanzierten Blick auf den Krieg, das Erleben über Bilder und Texte und wie es sich verändert.
Die fallenden Sterne in einem Video auf Instagram sind Brandbomben aus Magnesium Jeder der kurzen Texte, die im Abstand von drei Wochen erschienen sind, wird von einem oder mehreren Fotos begleitet. Eine ältere Frau in einem schwarzen Pelzmantel, hinter ihr ein lichterloh brennendes Haus. Ein scheinbar endloser, von Wald gesäumter Friedhof bei Irpin. Ein Mann, der in einem Bombenkrater steht. „Als probierte er den möglichen Tod an“, schreibt Petrowskaja dazu und belässt es aber nicht bei solchen treffenden Beschreibungen, wie sie auch nicht bei den Fotos bleibt, die man erwarten würde. Da ist auch eine 100 Jahre alte Postkarte aus Uman, wo während der Entstehung der Kolumne dazu gerade eine russische Rakete ein riesiges Loch in ein Wohnhaus gesprengt hat. Da ist ein tanzender Rabbiner und ein Regenbogen über Berlin und ein Sternenregen, wie aus dem Märchen oder mindestens einer verheißungsvollen Silvesternacht. Die fallenden Sterne, die sie in einem Video auf Instagram gesehen hat, sind Brandbomben aus Magnesium. Sie erzeugen „ein riesiges Feuer, das man kaum löschen kann“, schreibt Petrowskaja. „Der Himmel leuchtet. Danach brennt die Erde.“
So unheimlich wie die todbringenden Sterne findet Petrowskaja, welchen Effekt dieses Video aus einem sozialen Netzwerk auf sie hatte. „Ich schaute mir das Video noch einmal an“, schreibt sie „und sah die irritierende Schönheit, die, nun war es offensichtlich, den Tod in sich barg.“ Was sagt das über uns aus, dass diese Bilder aus dem Krieg für uns manchmal von so bewegender Schönheit sind? Darf der Tod das überhaupt, schön sein? Nicht immer hat Petrowskaja auf ihre Fragen eine Antwort. Trotzdem sucht sie in großen, aber nie beliebigen Assoziationsräumen danach.
Den Sternenregen versucht sie im verregneten Dresden mit den Bildern von Otto Dix aus dem Ersten Weltkrieg, mit den Mobiltelefonen, die den Tod als Nachricht zu uns tragen, in Gedanken an die an antike Helden erinnernden Verteidiger des eingekesselten Mariupol irgendwie einzuordnen. Sie zitiert eine Krankenschwester, die nicht mehr lebt, aus der Hafenstadt: „Sie können sich nicht vorstellen, was hier los ist.“ Und manchmal muss man es auch dabei belassen. Petrowskaja kartiert Orte des Seins und des Denkens, die sich, wie der schöne Tod, nicht richtig in unsere Lebenswelt einfügen wollen, deshalb aber nicht weniger real sind.
Denn die Bilder allein können das nicht leisten. Nicht nur verlieren sie ihre Schärfe, sie können auch verharmlosen, da sie stets nur einen Ausschnitt zeigen und damit auch nur einen Ausschnitt des Schreckens. „Jede Explosion erzeugt Fotos, als wären sie selbst Scherben der Zerstörung.“ Wieder einer dieser Sätze, die man Volltreffer nennen würde, wäre man von Petrowskaja nicht längst für solche Details der Sprache und der Bilder sensibilisiert. Und für das, was man den Bildern nicht ansieht.
Da ist das Foto einer Frau, die ein Mädchen umarmt, wahrscheinlich ist es ihre Tochter. Die beiden stehen im Freien, hinter ihnen kann man ein Fenster und die Hauswand erkennen. Das Lächeln des Mädchens ist erfüllt, das der Mutter starr, nur an den Augen erkennt man, dass etwas nicht stimmt. Es ist ein starkes Foto, aber es gibt zahllose davon in den sozialen Netzwerken und Nachrichtenagenturen. Beim Blättern durch Petrowskajas Buch bleibt man erst kaum daran hängen, zu eindrücklich sind noch andere Bilder wie der Sternenregen. Allein hat das Bild keine Chance, zu erzählen, was es eigentlich zeigt. Deshalb erzählt Petrowskaja die Geschichte zu dem Bild. Sie hat recherchiert und herausgefunden, wen es zeigt. Es sind eine Mutter und ihre Tochter aus Isjum. Sie hatten sich im Haus und im Keller vor Luftangriffen und den russischen Besatzern versteckt. Das Bild zeigt sie, wie sie zum ersten Mal seit Monaten ihr Haus wieder verlassen. Zum ersten Mal seit Monaten.
Petrowskaja schlägt mit ihren Bildern und Texten Breschen in den Wahnsinn, den dieser Krieg in Europa noch immer jeden Tag über uns ausschüttet. Dabei gibt es gar nicht immer einen Kern, den es freizulegen gilt oder etwas, das alle anderen vermeintlich übersehen haben und das nun sie altklug hinzufügt. Es geht vielmehr um das Sortieren dessen, was ist; um das Nachdenken, ohne in den Spurrillen zu verharren, die der Schrecken nach sich zieht. Um immer wieder zu zeigen, was das eigentlich bedeutet, was wir auf diesen Bildern sehen und was wir über die Geschehnisse in der Ukraine lesen. Den Krieg nicht harmlos werden lassen. „Die Müdigkeit ist eine Waffe des Krieges“, schreibt sie. Ihr Buch ist ein Weckruf für alle, die diese Müdigkeit spüren.
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