Frank Zappa und Regina sind zwei der wundersamen Begegnungen, die Donna Leon in ihrem neuen Buch „Backstage“ versammelt hat. An dessen Anfang schreibt sie: „Menschen sind seltsam: So ist das Leben. Und uns dämmert, dass auch wir vielen, die uns kennenlernen, seltsam erscheinen müssen.“ Seltsam ist auch dieses Buch, von dem man gar nicht genau sagen kann, was es eigentlich ist. Eine Autobiografie? Eine Anthologie? Denn zu den aufregenden Begegnungen kommen Abhandlungen über das literarische Schreiben, Liebeserklärungen an die Oper („Vertraut, vielleicht, aber unbekannt.“) und Anekdoten über Leons Aufenthalt in Iran.
Mit den Kriminalfällen von Commissario Brunetti wurde Donna Leon berühmt. Aber nicht in Italien, obwohl die Bücher in Venedig spielen. Denn sie wollte nie, dass ihre Brunettis auf Italienisch erscheinen, und so ist sie in ihrer früheren Wahlheimat (Leon lebt inzwischen in der Schweiz) weitgehend unbekannt. Jedes Jahr schreibt sie einen neuen Brunetti-Fall, und immer noch verkaufen sich die Krimis millionenfach. Zuletzt kam 2024 „Feuerprobe“ heraus; wann der nächste Brunetti erscheint, steht jedoch noch nicht fest. Auch in „Backstage“ tauchen Venedig und Brunetti auf. In einem Kapitel adressiert sie ihre Kunstfigur sogar direkt, sie schreibt ihm zum Dreißigsten einen Liebesbrief, „Venezianisches Finale“, sein erster Fall, erschien 1993.
Wie auch ihren Krimis merkt man „Backstage“ an: Donna Leon ist eine genaue Beobachterin. Ob beim Besuch eines Diamantenhändlers oder wenn sie in die Oper und in klassische Konzerte geht (am liebsten in Händels „Messias“). Manche Kapitel sind Werkstattberichte, andere tiefere Überlegungen. Die meisten Texte erscheinen erstmals in Buch-Form. Vor allem über englischsprachige Literatur lässt sich Donna Leon ausgiebig aus, feiert die britische Krimi-Autorin Ruth Rendell, ihren Favoriten Charles Dickens oder Patrick O’Brian.Formularbeginn
Vor drei Jahren kam Leons Biografie „Ein Leben in Geschichten“ in ihrem deutschsprachigen Hausverlag Diogenes heraus, und viele Erzählungen, die sie damals anriss, tauchen auch nun wieder auf. Etwa aus ihrer Zeit in Isfahan, als sie iranischen Helikopterpiloten Englisch beibrachte. Oder über die Stellenanzeige 1976 in der New York Times, die sie überhaupt erst auf den Job aufmerksam machte. In beiden Büchern schreibt Leon keinen durchgehenden Text, sondern eben in Episoden. Das lässt sich natürlich leichter lesen und hat Charme, weil es unterschiedliche Begebenheiten versammelt. Aber es hält einen auch auf Abstand, viel Tiefe lassen die knappen Kapitel nicht zu. Als Fortsetzung will sie „Backstage“ nicht verstanden wissen, eher als „Blick hinter die Kulissen“.
Die sind jedoch ganz schön durcheinandergeraten. Denn eine wie auch immer gelagerte Form von Ordnung steckt nicht in „Backstage“. Obwohl viele Einzelkapitel noch mal untergliedert sind. Donna Leon springt von persönlichen Begegnungen zu Anekdoten und weiter zu theoretischen Überlegungen. Dabei lässt sie sich von Erlebnissen leiten, nicht von Empfindungen. Wirklich nahe kommt man ihr nicht. Vielmehr wirkt es so, als arbeite die 82-Jährige an ihrem Vermächtnis und habe dafür noch einmal so viele Texte wie möglich publizieren wollen.
Am persönlichsten wird Donna Leon im Kapitel „Einsamkeit“. Da scheint auch ihr spezieller Humor durch, wenn sie erklärt, dass ihr beim Wort Einsamkeit „als Erstes eine merkwürdige Gemeinsamkeit mit Geschlechtskrankheiten“ auffalle. Sei es davon betroffenen Menschen doch in beiden Fällen ähnlich unangenehm, zum Arzt zu gehen. Und dann stellt sie durchaus interessante Fragen. „Gerät man in die Einsamkeit hinein, oder ist sie Teil von einem selbst? Kann sie einen in unterschiedlichem Ausmaß befallen? Oder können wir nur festhalten, ein Mensch ‚leidet‘ daran? Denn ein Leiden ist es zweifelsohne“. Wie es sich bei ihr selbst verhält, würde man sehr gern wissen. Aber das überlässt sie, wie vieles andere, ganz dem Leser. Und so bleibt Donna Leon auch in ihrem jüngsten Buch unnahbar. Es dürfte ihr ganz recht sein.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand missverständlich, Georg Friedrich Händels Oratorium „Messias“ sei eine Oper. Wir haben das korrigiert.