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Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten - Rezensiert in der SZ von Elke Heidenreich
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»So elegant und mühelos erzählt. Dieses neue Buch von Florian Illies zu lesen, ist wie einen Billy-Wilder-Film zu schauen - einfach großartig.« Ferdinand von Schirach
Mit Florian Illies kann man Vergangenheit plötzlich als Gegenwart erleben. In »Zauber der Stille« breitet er erstmals die abenteuerlichen Geschichten Caspar David Friedrichs vor uns aus. Eine wilde Zeitreise zu dem Mann, der für die Deutschen die Sehnsucht erfand.
Friedrichs abendliche Himmel wecken seit Jahrhunderten die leidenschaftlichsten Gefühle: Goethe macht ihre Melancholie so rasend, dass er sie auf der Tischkante zerschlagen will, Walt Disney hingegen verliebt sich so heftig in sie, dass er sein »Bambi« nur durch Friedrich'sche Landschaften laufen lässt. Von Hitler so verehrt wie von Rainer Maria Rilke, von Stalin so gehasst wie von den 68ern, von der Mafia so heiß begehrt wie von Leni Riefenstahl - am Beispiel von Caspar David Friedrich werden in diesem mitreißend erzählten Buch 250 Jahre deutscher Geschichte sichtbar. Und Friedrich, der Maler, wird zu einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Nach »1913« und »Liebe in Zeiten des Hasses« das dritte große historische Epochenportrait von Florian Illies.
Caspar David Friedrich, der dunkelste aller Romantiker, feiert im nächsten Jahr seinen 250. Geburtstag. Das wirft jetzt schon Schatten voraus, Ausstellungen, Bücher, und in diesen unruhigen, blutigen und entsetzlichen Zeiten ist Illies' "Zauber der Stille" ganz genau das: Zauber. Stille. Trost. Was für ein Wunderbuch. Und keine reine Schwärmerei, Illies gibt zu: "Manche Bilder von Caspar David Friedrich sind schwach, manche bemüht. Nein, nicht alles ist meisterlich bei ihm, er ist zum Glück kein Gott, sondern ein Mensch gewesen." Aber: "Die Natur hält kurz inne, wenn Friedrich sie sieht, sie hält den Atem an für ihn."
Florian Illies feiert Caspar David Friedrich und das Wunder der Kunst in "Zauber der Stille".
So elegant, so leicht, so umfassend gebildet und belesen, ohne all das oder die natürlich auch gründlichen Recherchen heraushängen zu lassen, fächert uns Florian Illies seit einigen Büchern bedeutende Jahre wie das Vorkriegsjahr 1913 auf und ganze Epochen wie die Dreißigerjahre in "Liebe in Zeiten des Hasses". Schon um die Jahrtausendwende lieferte er mit "Generation Golf" ein Porträt seiner Generation, den Teenagern der Achtziger, er brillierte als Kunsthistoriker, Kurator, Journalist, verirrte sich kurzzeitig als Verleger - und legt jetzt schon wieder eins dieser federleichten Bücher hin, die man wie süchtig liest und mit denen man durch die Zeiten fliegt. Der Untertitel sagt es: "Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten."
Der dunkelste aller Romantiker feiert im nächsten Jahr seinen 250. Geburtstag, das wirft jetzt schon Schatten voraus, Ausstellungen, Bücher, und in diesen unruhigen, blutigen und entsetzlichen Zeiten ist Illies' "Zauber der Stille" ganz genau das: Zauber. Stille. Trost. Was für ein Wunderbuch. Und keine reine Schwärmerei, Illies gibt zu: "Manche Bilder von Caspar David Friedrich sind schwach, manche bemüht. Nein, nicht alles ist meisterlich bei ihm, er ist zum Glück kein Gott, sondern ein Mensch gewesen." Aber: "Die Natur hält kurz inne, wenn Friedrich sie sieht, sie hält den Atem an für ihn."
Was für ein nicht endendes Desaster
Aufgeteilt ist das Buch in vier große Kapitel, die nach den Elementen benannt sind. Los geht es mit dem "Feuer": Ich hatte keine Ahnung, wie viele der Friedrich-Bilder in verschiedenen Feuern (Weltausstellung, Krieg, Hausbrände) verloren gegangen sind! Da brennt während der Weltausstellung 1931 der Münchner Glaspalast ab, der wie die Titanic als unsinkbar, als unbrennbar galt - ach, immer dieser menschliche Hochmut! -, und in ihm gehen 110 der schönsten romantischen Werke zugrunde, darunter neun Gemälde von Caspar David Friedrich. Das ist der 6. Juni, der 56. Geburtstag von Thomas Mann, der in seinem Roman "Lotte in Weimar" Adele Schopenhauer vom "himmlischen David Caspar Friedrich" schwärmen lässt - das wissen wir, aber das Tagebuch, in dem er vermutlich vom Brand berichtet, hat er, schreibt Illies, "1945 im Garten seines Hauses im kalifornischen Exil von Pacific Palisades ganz unromantisch, nun ja, verbrannt".
Diese raffinierte Querverbindung über zig Ecken und dieses lässig eingestreute "nun ja" - das ist es, was die Bücher dieses Autors schier unwiderstehlich macht, keiner kann das so wie er. Ja, viel Information, natürlich, aber immer so, dass es wie selbstverständlich wirkt - ach, das wussten Sie nicht, dass 1901 das Geburtshaus des Malers in Greifswald niederbrannte? Nachkommen wohnten noch dort, Bilder lagerten da, und wieder verbrannten neun Gemälde. Und so kam es, dass dieser Maler allmählich komplett vergessen wurde.
Irgendwann landete eines seiner Bilder beim Kunsthändler Gurlitt, der "ständig abgebrannt" (!) war und irgendwann Deutschland verließ. Friedrichs Bild nahm er mit - gut gemacht, denn seine Berliner Wohnung brennt 1943 aus. Und so geht es weiter mit den abenteuerlichen Geschichten der Bilder, die Jahrhunderte und Feuersbrünste überstanden haben, und man fragt sich: Woher weiß der das alles? Fiktion und Wirklichkeit verweben sich wohl aufs Allerschönste, und dazu gibt's eine gehörige Dosis Zeitgeschichte - aber so elegant und oft im Präsens, mit wenigen Worten, dass wir glauben, in dieser Mondnacht dabei gewesen zu sein, und haben wir nicht selbst gesehen, wie sich der Maler eine blaue Blume ans Revers steckt?
Ach ja, und 1911 brennt übrigens in Dresden das Taschenbergpalais der Prinzessin Mathilde aus, und da hingen auch zwei Friedrichs... Das Feuer greift immer wieder auf die Werke dieses Malers über, vor allem im Zweiten Weltkrieg, in dem die Nazis den schmalen rothaarigen Mann als blonden deutschen Helden vereinnahmen, der das Vaterland gemalt hat. Das gefällt dem Führer, er versteckt Bilder, 1945 kommt die Rote Armee und brennt alles nieder, wieder brennen auch Friedrichs Gemälde. Was für ein nicht endendes Desaster.
Der "Mönch am Meer" steht so verloren in seiner Welt wie wir heute in der unseren
Das nächste große Kapitel heißt "Wasser", wir sehen: Illies erzählt nicht chronologisch, sondern an den Elementen entlang. Wasser hat Friedrich zeitlebens angezogen, die Elbe, auf die er vom Arbeitszimmer blickte, das Meer, er malt traumverlorene Hafenbilder und sein kühnstes, modernstes Bild, "Mönch am Meer". So verloren steht der da in seiner Welt wie wir heute in der unseren. Keine Gewissheiten mehr. Die Besucher einer Berliner Ausstellung sind irritiert, das Bild wird verspottet, "alles untrügliche Anzeichen dafür, dass hier wirklich etwas Neuartiges zu sehen ist", schreibt Illies, und er weiß, dass der Dichter Kleist in diesem Bild seine eigene Verlorenheit erkennt, und er spekuliert, dass der Mönch unter seiner Kutte vielleicht eine Pistole trägt, und er weiß, dass Bilder wie dieses Samuel Beckett zum Stück über das sinnlose Warten auf Godot angeregt haben.
"Die Romantik", schreibt Illies, "ist auch eine Geschichte der Missverständnisse." Friedrichs Hoffnung, Professor an der Dresdner Akademie zu werden, zerschlägt sich - der Obrigkeit sind seine Bilder zu trübsinnig. "Diese Idioten", merkt Illies kurz an und beschreibt, wie Friedrich seinen Kummer in das gewaltige Bild vom Eismeer hineinmalt, das ein Schiff zermalmt.
Es folgt das Kapitel "Erde": Caspar David Friedrich wandert, immer wieder, er liebt seine Heimat, er malt Landschaften, erdverbunden, meist menschenleer. Aber, Achtung: nie naturgetreu. Nie einen konkreten Ort. Er fügt verschiedene Skizzen von verschiedenen Orten in einem Bild zusammen, es ist sinnlos, nach dieser Eiche, diesem Hafen zu suchen. Er baut sozusagen Collagen aus naturgetreuen Vorlagen - auch das: modern. Und Illies findet einen hinreißenden Kommentar dazu: "Caspar David Friedrich atmet Natur ein, um sie als Kunst wieder auszuatmen." Kann man es schöner sagen? Das Gemälde "Der einsame Baum" ergreift Rainer Maria Rilke so sehr, dass er ein Gedicht darüber schreibt - es handelt vom Fühlen, nicht vom Begreifen, und Illies kommentiert: "Denn erst dann, wenn der Wille zum Begreifen besiegt ist, erst dann hat man überhaupt eine Chance, Friedrich wirklich zu verstehen." Durch mein Leben zieht sich ein Zitat, das der heiligen Teresa von Ávila zugeschrieben wird: "Es ist zu lehren, wie man nicht versteht." Einfach etwas zulassen. Läge ich diesem Autor nicht eh schon, nun ja, zu Füßen: spätestens jetzt.
Man durfte den Maler in seinem Atelier an der Elbe jederzeit aufsuchen und stören, es gab nur eine Ausnahme, erfährt man im Abschnitt "Luft": "Jetzt malt er gerade Luft", lässt Illies Friedrichs Frau Line sagen, "jetzt darf man ihn nicht stören, denn wissen Sie, Himmelmalen ist für ihn wie ein Gottesdienst." Illies ergänzt kühn: "Ja, genau so hat sie es gesagt." Wir glauben es sofort. Friedrich liebt den Himmel, die Gestirne, die Wolken, immer wieder malt er auch den Mond, den Nebel, und, schwärmt Illies: "Wer von seinen Zeitgenossen einmal das Glück hat, Caspar David Friedrich in die Augen zu blicken, der beschreibt deren Farbe hinterher als: himmelblau." Wolken malt er bei geschlossenen Fensterläden, er sieht sie mit dem erinnernden Auge, sie sind so weit weg - spiegeln sie einen Himmel, den es gibt? "Die Gefahr des Verlorenseins springt einem nicht entgegen aus Friedrichs Bildern, sie schleicht sich an (...). Vielleicht kann sich deshalb unsere Sehnsucht auch zweihundert Jahre später noch immer nicht daran sattsehen." So schreibt Illies, und im nächsten Satz lässt er die Luft wieder raus: "Keine Angst, komplizierter wird es nicht."
Keine Angst: Nichts an diesem Buch ist kompliziert, nichts verstört, auch wenn das Wort "verstörend" sehr oft vorkommt. Denn es sind verstörende Bilder, die dieser so gar nicht romantische große Maler der Romantik gemalt hat. Alles atmet eine ruhige Gelassenheit, die uns daran erinnert, dass wir auf dem Fluss der Zeit schwimmen, mit unseren Ängsten und Sehnsüchten und Erinnerungen, wie alle vor uns, wie alle nach uns. Die Künstler können es benennen, malen, in Töne und Bilder setzen. Die klugen und weitsichtigen Schriftsteller können es erklären, ohne es zu zerfasern. "Alles ist Stille", hat Caspar David Friedrich gesagt, und Illies spürt, wie sich "die Stille auch über unsere unruhigen Augen legt". Er hat ein Wunderbuch über das Wunder der Kunst geschrieben.
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