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Russlanddeutsche Spätaussiedler: „Postsowjetische Belastungsstörung“. Empfohlen von Cord Aschenbrenner.
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Die Eltern von Ira Peter sind auf dem „Achtundzwanzigsten“ aufgewachsen, so nennen sie bis heute das Dorf „Sondersiedlung Nummer 28“ in der Steppe Nordkasachstans. Die Familie stammte aus Wolhynien in der nordwestlichen Ukraine, seit 1922 eine sozialistische Sowjetrepublik. 1936 wurden die Großeltern Ira Peters, genau wie Tausende anderer „Wolhyniendeutsche“, die seit dem 19. Jahrhundert im Zarenreich, später dann in der Sowjetunion gelebt hatten, nach Osten deportiert. Andere deutschstämmige Sowjetbürger hatten dieses Glück nicht, sie wurden, weil Partei und Staat ihnen als „Deutsche“ oder gleich als „Faschisten“ misstrauten, zu Zehntausenden hingerichtet oder kamen in sibirische Straf- und Arbeitslager. Der Familie wurde immerhin ein Lehmhaus im kasachischen Nichts zugewiesen, sie überstand entgegen aller Wahrscheinlichkeit die dunklen Jahre bis zu Stalins Tod. In Kasachstan blieb die Familie, musste bleiben – Teil der verhassten deutschen Minderheit, die wie andere Minderheiten auch über ihre jeweils spezielle Vergangenheit unter Stalin schwieg, bis zum Ende der Sowjetunion.
Kurz danach, als Neunjährige, kam Ira Peter 1992 mit ihrer Familie als „Spätaussiedlerin“ nach Deutschland. Nun hat die Journalistin – auch am Beispiel ihrer Familie – die Geschichte der Russlanddeutschen (ein historisch schillernder Begriff für deutsche Siedler, die teils schon im 18. Jahrhundert ins Zarenreich zogen) in der Bundesrepublik erzählt. Deren Bürger taten sich nicht immer, aber oft schwer mit diesen Menschen, die behaupteten, auch Deutsche zu sein, und doch so anders waren und zudem viel altmodischer sprachen als sie, die „Schonimmerdeutschen“, wie Ira Peter sie nennt. Die Neuankömmlinge ihrerseits verstanden nicht, warum die Bewohner des gelobten Landes meist so wenig enthusiastisch waren angesichts ihrer plötzlich auftauchenden Landsleute aus dem Osten und sich nicht selten abweisend, ja kränkend verhielten – ganz abgesehen von den merkwürdigen Gebräuchen in deutschen Schulen, Büros und erst recht in Ess- und Wohnzimmern.
Das waren noch die geringsten Probleme der mittlerweile 2,5 Millionen Russlanddeutschen, die seit den frühen 1990er-Jahren ins ersehnte Deutschland kamen, das es ihnen, wie allen Fremden, nicht leicht machte. Die drei Integrations-Meilensteine Wohnung, Sprache und Arbeit ließen sich erreichen, der tiefgreifende Kulturwandel hingegen fiel vielen schwer. Jüngere gerieten überproportional oft an harte Drogen, Ältere, denen die Autorin eine „postsowjetische Belastungsstörung“ attestiert, zogen sich ins Familiäre zurück. Hinzu kommt bei manchen eine verwunderliche, aber erklärbare Russlandnostalgie, die neuerdings AfD und Putin jeweils zu instrumentalisieren versuchen.
Die Autorin schildert all dies faktenreich, sehr offen, mit sanfter Ironie und manchmal leichter Bitterkeit. Deutsch genug? Ira Peters Antwort ist vielfältig und lesenswert.
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