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„Rauch und Asche“ von Amitav Ghosh:Die Geburtsstunde des modernen Drogenhandels. Empfohlen von David Pfeifer.
Es ist, gerade in politisch unruhigen Zeiten, immer eine gute Idee, sich mit Geschichte und Geschichten zu beschäftigen, die nicht dem Nachrichtenfieber entspringen. Wer sich also über das Verhältnis der Großmächte USA, Indien und China unter Einbeziehung der Europäer informieren möchte, tut gut daran, „Rauch und Asche“ von Amitav Ghosh zu lesen, das sich mit einem weitgehend verdrängten Riesenthema befasst: der Herstellung und dem Handel von Opium.
Mit der Droge aus dem Schlafmohn wurden im 18. Jahrhundert nicht nur Großbritannien, sondern auch Amerika reich. Indien hingegen wurde ausgebeutet und China, so wie weite Teile Südostasiens, ins Elend gestürzt. Eigentlich fing es relativ harmlos damit an, dass die Briten chinesischen Tee wollten, aber nichts hatten, womit sie handeln konnten. Also gaben die Kolonialisten zunächst billig Opium ab, und als genügend Chinesen süchtig waren, zogen sie die Preise an. Bereits 1729 verbot China die Einfuhr, weshalb die britische Ost-Indien-Kompanie das Opium an private Händler versteigerte, die es dann ins Land schmuggelten. So war der illegale Drogenhandel, wie man ihn heute kennt, geboren.
China musste die Souveränität über den eigenen Außenhandel an den Westen abgeben
Es brachen zwei Opiumkriege zwischen China und Großbritannien aus, 1839 und 1856. Anlass war jeweils der Versuch Chinas, sich dieses Geschäfts zu entledigen, das Millionen im Land süchtig machte. Doch Großbritannien nahm die Beschlagnahmung seines Opiums zum Anlass, einen Krieg anzufangen. Zu groß waren die Gewinne aus dem damals schon illegalen Handel, laut Ghosh der drittwichtigste Posten im Außenhandel der Briten, nach Salz und Steuern. In der Folge musste China die Souveränität über den eigenen Außenhandel und die Märkte an die Briten und Europäer, später auch an die Amerikaner abgeben. Wer das liest, wundert sich etwas weniger, wieso man dem Westen in Peking mit großem Misstrauen begegnet, wie beim aktuellen Fentanyl-Streit mit den USA, und Moralpredigten aus Europa schon mal gar nicht ernst nimmt.
Vor allem in Indien, wo der Schlafmohn angebaut und Opium gewonnen wurde, entstand eine Drogenindustrie, die selbstverständlich ebenfalls nur den Kolonialisten diente. Die Briten, die heute gerne darauf hinweisen, dass sie eine einheitliche Sprache, Verwaltung und Kultur in ihre Kolonien gebracht haben, verwandelten Indien in einen Narko-Staat. Der in Indien geborene und in New York lebende Schriftsteller und Kulturhistoriker Ghosh erzählt teilweise autobiografisch, wo die Spuren des Opiums in der Gegenwart zu finden sind. Die beiden Haupthandelsgebiete waren das heutige Bihar in Ostindien, und Mumbai, das damals noch Bombay hieß, und in dem sich der Handel zunächst unabhängig von den Briten entwickeln konnte. Es wurde ein flamboyanter Lebensstil gepflegt, Mumbai ist heute noch die reichste Stadt Indiens.
Bihar hingegen, ganz oben im Nordosten des Landes, nahe an China, ist nach wie vor der ärmste Bundesstaat. Die Bauern durften den Mohn dort nur an Agenten der Ost-Indien-Kompanie verkaufen, und die britischen Beamten, die über die lokale Produktion wachten, agierten tyrannisch. Sie ließen Türen aufbrechen, Häuser überfallen und Bauern nach Belieben verhaften. Während die Bevölkerung in Armut lebte, wohnten die britischen Herren in luxuriösen Häusern. Einige dieser Häuser sind mittlerweile Luxus-Hotels, in denen die Menschen ihrem Alltag auf andere Weise entfliehen können, schreibt Ghosh. Die größten Opioid-Produktionsstätten befinden sich weiterhin in Indien, sie beliefern heute die Arzneimittel-Industrie.
Opium sei ein Dämon, der alles und alle manipuliert und korrumpiert
Wo die Ost-Indien-Kompanie mit ruchloser Härte regierte, wurde der illegale Opiumhandel „zu einem Instrument des Widerstands, mit dem die Kolonialmacht daran gehindert werden konnte, sich eine zentrale Einnahmequelle zu sichern“. Auch diese Mechanik schreibt sich bis in die Gegenwart fort. Zuletzt hatten die Taliban in Afghanistan ihren Kampf gegen die alliierten Truppen unter anderem mit dem Mohnanbau finanziert. „Fakt ist, dass die mächtigste Militärmacht der Menschheitsgeschichte von einer Blume besiegt wurde“, schreibt Ghosh, „der Schlafmohn mag bescheiden aussehen, aber er ist eines der mächtigsten Lebewesen, denen der Mensch in seiner Zeit auf Erden begegnet ist.“
Man solle sich Opium als eigenständigen Akteur vorstellen, argumentiert der Autor. Wie einen Dämon, der alles und alle, mit denen er in Berührung kommt, zu seinen Gunsten manipuliert und korrumpiert. Diese Linie zieht Ghosh mit großem Schwung von den Opiumhöhlen Chinas bis zur milliardenschweren amerikanischen Unternehmer-Familie Sackler, die mit medizinischen Opioiden reich geworden ist und dabei Millionen Amerikaner ins Verderben gestürzt hat. Wobei Ghosh, der durch seine Herkunft einen anderen Blick auf die Briten und Amerikaner hat, nicht müde wird zu betonen, dass die Opioid-Krise in den USA nur als solche erkannt und bekämpft wird, weil sie Weiße betrifft. Als Asiaten die Opfer waren, hat das im Westen, der davon profitierte, niemanden interessiert.
Dass die Sacklers sich als Philanthropen geben, auch das eine beliebte Technik der Schwerreichen in den USA, die aus frühen Zeiten des Opium-Handels stammt. „Sie gründeten und finanzierten Universitäten, Colleges, Schulen, Krankenhäuser, Heime, Bibliotheken, historische Gesellschaften, Kirchen und Museen“, schreibt Ghosh. Das Geld, das man mit verbrecherischen Monopolen verdient hat, sollte mit guten Absichten reingewaschen werden. „Unter den alten und ehrwürdigen Institutionen im Nordosten Amerikas gibt es nur wenige, die nicht zu irgendeinem Zeitpunkt mit Geldern ausgestattet wurden, die auf den Drogenhandel mit Opium zurückgehen“, erinnert Ghosh seine Leserinnen und Leser.
So faktensatt und lehrreich, wie das Buch ist, muss man wissen, dass es gewissermaßen als Nebenprodukt seiner „Ibis-Trilogie“ entstanden ist, deren Romane zur Zeit der Opium-Kriege spielen. Ghosh verweist immer wieder auf einzelne Szenen in seinen Büchern, ein Nachteil, wenn man diese nicht kennt. Auch weil das Erzählerische in „Rauch und Asche“ dadurch etwas zu kurz kommt. Wenn man aber genügend Wissensdurst mitbringt, wird man belohnt, durch eine ausführliche, ausufernde Recherche zu einem Thema, das die Welt im Schatten prägt. Ghosh zitiert im letzten Viertel seines Buches Mark Twain mit dem Satz: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ Er hätte ihn auch als Motto voranstellen können, denn vieles, was er erzählt, erscheint einem neu und vertraut zugleich. Und nach dem Lesen kann man sich einen besseren Reim auf die Welt von heute machen.