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„Die Russen sind mit ihren Attacken Teil meines PR-Teams“.
Der irische Schriftsteller Colum McCann hat sich in seinen Büchern immer wieder mit den Problemen menschlicher Kommunikation befasst, ihren Bruchstellen und historischen Bedingungen. In seinem neuen Roman „Twist“ geht der irische Journalist Anthony Fennell in Südafrika an Bord eines Schiffes, das die unterseeischen Glasfaserkabel repariert, durch die fast unsere gesamte interkontinentale Kommunikation läuft. Conway, ein Landsmann des Ich-Erzählers, ist für diese Reparaturen zuständig. Seine Herkunft und die Motive für sein Verhalten werden zunehmend zu einer fixen Idee für Fennell. Anlässlich eines Leseabends in Köln spricht McCann, der in New York lebt, mit der SZ über die Anfälligkeit der digitalen Infrastruktur, Joseph Conrad und die Russen als unfreiwillige PR-Helfer.
SZ: Mr. McCann, Ihr Erzähler Anthony Fennell sagt an einer Stelle: „Als Schriftsteller suchst du dir ein Behältnis und versuchst, die Story darin unterzukriegen.“ Was war für Sie in „Twist“ das Behältnis?
Colum McCann: Wenn man es physisch betrachtet, dann wohl das Schiff, auf dem Fennell in See sticht. Im übertragenen Sinne war das Behältnis die Idee, dass etwas repariert wird. Samuel Beckett hat gesagt, es sei der Auftrag des Künstlers, eine Form zu finden, in der die Unordnung Platz findet. Stilistisch ist „Twist“ mit seinem einzelnen Erzähler und der größtenteils chronologischen Erzählweise deutlich einfacher gebaut als etwa mein letzter Roman „Apeirogon“. Der war strukturell viel komplizierter.
Die strukturelle Bedeutung unterseeischer Glasfaserkabel ist durch die jüngsten Sabotageakte in der Nordsee plötzlich sehr präsent.
Ja, ich sage immer: Die Russen sind mit ihren Attacken sozusagen Teil meines PR-Teams. Auch die Chinesen, oder die Huthi-Rebellen im Roten Meer. Aber den Plan, darüber zu schreiben, habe ich schon vor vier Jahren gefasst. Damals war es noch nicht sexy, über Kabelreparaturen auf See zu schreiben. Das Interessante ist, dass den meisten Menschen gar nicht klar ist, dass 95 Prozent des interkontinentalen Datenverkehrs durch diese Glasfasernetze auf dem Meeresboden laufen, nicht über Satelliten. Satelliten sind fünfmal langsamer und fünfmal teurer, und alle Experten, mit denen ich gesprochen habe, sagen, so wird es wahrscheinlich auch noch die nächsten 25 Jahre bleiben. Ich glaube aber, die Datenübertragung durch das All ist für uns einfacher zu verarbeiten. Es ist irgendwie sauberer als die schlammige, finstere Tiefsee.
Wie haben Sie das alles recherchiert?
Ich flog nach Südafrika und verbrachte einige Tage und Nächte auf einem Reparaturboot. Wir sind nicht rausgefahren, aber sie haben mir alles erklärt und mir die riesigen Kabelrollen gezeigt.
Für die Geschichte war aber der Akt der Reparatur selbst zentral?
Es war nach der Pandemie, wir hatten lange nicht reisen können, wir hatten uns alle in unsere Behausungen zurückgezogen. Ich dachte: Das Thema der nächsten Zeit wird sein, wie wir das alles reparieren. Und dann sah ich, ich weiß nicht mal mehr, wo, diesen kleinen Artikel über ein Schiff in Südafrika, das hinausgefahren war, um „das Internet zu reparieren“.
Interessanterweise läuft der Webzugang auf dem Schiff, das die Reparatur vornimmt, über Satellit.
Ja, und er ist dadurch sehr eingeschränkt und viel leichter manipulierbar. Die Besatzung weiß also, wie wichtig ihre Arbeit ist.
Sie haben in der Vergangenheit politische Ereignisse ins Zentrum ihrer Erzählungen gerückt. Hier bilden Corona, die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents, die erste Amtszeit Donald Trumps eher den Hintergrund einer sehr persönlichen Story.
Wir sprachen zu Beginn von dem „Behältnis“ der Geschichte. Ich fand, dass dieses Behältnis in „Twist“ ein persönliches sein sollte. Es ist auch nicht so interessant, wenn ein Autor seinen Lesern sagt, wie sie politisch denken sollen. Deshalb habe ich das Ende offen gestaltet. Der Nachgeschmack des Buches ist sozusagen wichtiger als der Geschmack. Ich hoffe, dass es die Leser noch ein wenig verfolgt, nachdem sie es fertig gelesen haben. Dass sie vielleicht darüber nachdenken, auf welchen Wegen die Nachrichten, die sie verschicken, ihre Adressaten erreichen. Welchen Firmen diese Kabel gehören und was sie da alles mit deren Hilfe verschicken.
Fennell, der Journalist, der die Geschichte erzählt, ist extrem fixiert auf Conway, den Mann, der auf dem Schiff für die Reparaturen zuständig ist, er will mehr über ihn erfahren. Doch statt Conway einfach Fragen zu stellen, nutzt er seine teure Online-Zeit, um ihn zu googeln.
Eine kleine Anekdote: Mein 25-jähriger Sohn traf vor einiger Zeit ein Mädchen in einer Bar. Sie unterhielten sich zwei Stunden lang und verstanden sich sehr gut miteinander. Irgendwann fragte sie: „Kannst du mir dein Online-Profil schicken?“ Er sagte: „Ich habe keins, weil ich keine Dating-Apps benutze.“ Da nahm das Gespräch eine seltsame Wendung, denn sie fand es verstörend, dass er kein solches Dating-Profil hatte. Der Abend endete dann ziemlich schnell. So kommunizieren wir jetzt. Wir sind verbunden und getrennt durch dieselbe Technik. Dabei ist nicht die Maschine das Problem, sondern die Art, wie wir sie nutzen – dass wir zum Beispiel 20 Minuten lang jemanden auf Google recherchieren, statt ihn direkt anzusprechen.
Genauso verhält sich auch Ihr Erzähler, der nie so recht zu den Menschen durchdringt, von denen er umgeben ist. Außerdem spricht er oft in einer Art von Glückskeks-Weisheiten – „Alle Geschichten sind Liebesgeschichten“ und Ähnliches.
Es gab Phasen während des Schreibens, in denen ich ihn wirklich nicht besonders mochte. Ich wollte sichergehen, dass niemand den Erzähler mit dem Autor verwechselt, deshalb gab ich ihm zum Beispiel volles Haar, das ich selbst nicht habe. Er ist völlig abgetrennt von seiner Umgebung, ein einsamer Mensch. Er versteht weder die Probleme des digitalen Kolonialismus noch begreift er wirklich, wie der Klimawandel sich auf die Hardware-Infrastruktur der digitalen Kommunikation auswirkt. Anthony Fennell ist kein verlässlicher Erzähler, und er ist ganz bestimmt auch nicht die Art von Journalist, die ich gerne wäre, würde ich je diesen Beruf ergreifen. Er geht nicht so richtig in die Tiefe und missversteht vieles.
Ist das ein Problem, dass Leser Sie und ihn in einen Topf werfen?
Leider ja. „Twist“ ist noch nicht so lange publiziert. Aber viele Interviewer haben mich schon gefragt: Denken Sie denn wirklich so? In den USA ist das Buch noch nicht erschienen, doch ich garantiere Ihnen, das Publikum dort wird Fennells Äußerungen ungefiltert für meine eigenen halten. Vielleicht hätte ich ihn zu einer Frau machen sollen, oder schwul. Aber das hätte einfach nicht gepasst. Im Nachhinein bedauere ich ein wenig meine Entscheidung, ihn zu einem Journalisten zu machen, das ist so ein verdammtes Klischee. Er hätte ein Geistlicher sein können – aber in dem Buch geht es nicht um Glauben. Oder ein Ingenieur – aber der wüsste schon zu viel über die technischen Details. Es hat vorher noch niemand einen Roman über marine Kabelreparaturen geschrieben. Es musste also jemand sein, der mit dem Leser lernt.
Das Ganze ist von Fennell wie eine Erzählung im Stil von Joseph Conrad aufgezogen – er selbst weist darauf ausdrücklich hin.
Ja, obwohl ich auf das kompositorische Element der Binnenerzählung verzichtet habe. Es gibt also keinen äußeren Erzähler, der noch einmal einordnen könnte, was Fennell beschreibt. Eine solche zweite Instanz hätte natürlich all das, was Fennell entgeht, ergänzen können, aber das wollte ich nicht. Fennell merkt nicht mal, dass die Geschichte genau wie Conrads „Herz der Finsternis“ auf der Themse endet. Er hat ziemlich enge Grenzen, und in denen wollte ich ihn belassen. Das hat dazu geführt, dass sogar mein Lektor, der mich schon lange kennt, warnte: Wenn du diese frauenfeindliche Bemerkung des Erzählers da drin lässt, werden alle denken, das sei deine eigene Meinung. In dem Fall habe ich sie tatsächlich rausgenommen.
Haben Sie selbst denn ein neues Bewusstsein für die Verletzlichkeit der Infrastruktur bekommen, über die sie hier schreiben?
Auf jeden Fall. Bei meiner Recherche in den USA besuchte ich die Orte, wo die Kabel aus dem Meer kommen. Und ich stand über einem Gullideckel, den ich ohne Weiteres mit einem Stemmeisen hätte öffnen können. Und dann hätte ich direkten Zugang zu diesem Kabel gehabt, das all diese Daten nach New Jersey hineinleitet. Ich hätte es mit einer Kettensäge durchtrennen können. Was meinen Sie, wie die Sicherheit dieser Kabel von der Küste von Ghana oder Südafrika ist? Man könnte den gesamten afrikanischen Kontinent mit zwei Schiffen komplett vom Internet abtrennen. Ein Offizier der britischen Royal Navy hat kürzlich zu mir gesagt: Der nächste Krieg wird unter Wasser stattfinden.