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Rabea Weihser: „Wie wir so schön wurden“: Guck doch nicht so. Empfohlen von Tanja Rest.
Ein Buch über die Schönheit von Gesichtern, soso, muss das wirklich sein? Persönlich ist man ja längst durch mit der Schönheit, man hat ihre elende Seite zu oft gesehen, gesellschaftlich zieht sie eine Schneise der Verheerung hinter sich her: Vorschulkinder mit Body-Mass-Komplex, Sechstklässler mit Sixpack-Ambition, Sechstklässlerinnen mit Bulimie-Problem, Dreißigjährige mit Botox-Routine; man kann nie früh genug damit anfangen. Gedemütigte Dicke, gecancelte Faltige, übersehene Durchschnittliche, weichgezeichnete Duckfaces auf den Screens aller Länder. Die Stammkundinnen in der Front Row von Chanel mit ihren alten, todtraurigen Wachspuppengesichtern, gestraffte Hälse und aufgepumpte Lippen und unterspritzte Wangen und stillgelegte Stirnen; dafür mit Glow. All die Verzweiflung, der Selbsthass, das Nicht-Genügen. Scheitern an allen Fronten. Es ist zum Heulen.
Wer sie besitzt, soll die Schönheit genießen, solange sie anhält. Alle anderen sollen bitte gnädig mit sich sein und weitermachen mit ihrem Leben. Nur – wie kann das gelingen in einem von glatten Oberflächen besessenen System, in dem die tägliche Niederlage fest eingepreist ist? Synapsen entkoppeln, Leinen los und bye-bye, unerreichbares Ideal, ohne mich? Leicht gesagt.
Alle paar Seiten googelt man, ob das Gelesene wirklich stimmt
Und da ist es eben doch wahnsinnig gut, dass dieses Buch geschrieben wurde, an dessen Ende sich ein Abschied in drei Akten herauskristallisiert. Erster Akt: Bewusstmachung. Zweiter: Entkoppelung. Dritter: Akzeptanz. Zuvor führt uns die Journalistin und Autorin Rabea Weihser in „Wie wir so schön wurden“ schrittweise durch unser Gesicht: Biografien der Augen, Brauen, Nase, Lippen, des Profils und der Haut. Sie blickt zurück in der Geschichte, zitiert Philosophen, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Hirnforscher, Kim Kardashian und den weltweisen Leonard Cohen: „There is a crack in everything/That’s how the light gets in“. Sie tut das mit Gründlichkeit und analytischer Schärfe, einem Humanismus und lakonischen Witz, dass es die helllichte Freude ist.
Der Traum von der Schönheit war natürlich immer schon universell, über alle Epochen hinweg. Wirklich gesund war er nie. Man liest von Cremes aus Baumharz und Ziegenhaar (die alten Griechinnen), mithilfe von Tollkirschensaft geweiteten Pupillen (16. Jhd. ff.), von Schwindsucht-Chic (19. Jhd.), alles schon ähnlich bekloppt wie heute die bauneue Mang-Nase vom Bodensee. Von unseren Vorfahren unterscheidet uns laut Weihser nur eines: der tägliche Blick in den digitalen Spiegel, wo spätestens in der Pandemie auf Zoom eine grundschiefe, schlaffe, ganz und gar ungenügende Visage auftauchte. Dieses Gesicht galt es zu löschen und mit Fillern, Filtern und Make-up neu zu erschaffen, als Maske. Die aber unbedingt – „nur gut behandelte Menschen sehen unbehandelt aus“ – wieder natürlich wirken musste, nur eben mit künstlichen Mitteln und bekömmlicher; die Vorlagen lieferte das Netz.
Die Dinge gerieten dann ein bisschen durcheinander. „Es scheint“, schreibt Weihser, „ein unendlicher Ringtausch zu sein zwischen dem Echten und dem Unechten. Wer gerade wen kopiert, wer Vorlage und wer Kopie ist, wechselt ständig.“ Hauptsache, man lässt sich mit seinen Mängeln nicht erwischen, das sähe undiszipliniert und nach gesichtsökonomischer Hängematte aus. „Aesthetic labour“ heißt es im Englischen, „weil ich es mir wert bin“ im Deutschen. Das Ziel sind fugenlose, aerodynamisch optimierte Oberflächen, an denen wie an einem Sportwagen im Windkanal alles abperlt, die Schlechtwetterlagen, das Alter, das Leben selbst. Interessante Weihser-These: dass der Boom der Beichten auf Social Media, die verschriftlichten oder aufgesagten Bekenntnisse eigener Fehlerhaftigkeit der zwangsläufige Versuch sind, den hier Anwesenden die Menschlichkeit zurückzugeben, die ihre digitalen Gesichter längst verloren haben.
„Wie wir so schön wurden“ ist die Sorte Buch, die man alle paar Seiten beiseitelegt, um auf Google Images nachzusehen, ob das gerade Gelesene wirklich wahr sein kann. Zutreffend, dass alle Bond-Darsteller überdurchschnittlich dichte Brauen hatten? Dass die Augen der Sängerin Billie Eilish deshalb so besonders sind, weil der Weißraum nicht nur links und rechts ihrer blauen Iris vorhanden ist, sondern auch unterhalb davon, was nur bei einem Prozent der Menschen vorkommt und exakt dem japanischen Sanpaku-Ideal entspricht? Korrekt, dass im Tierreich der Goldfisch den menschlichsten Mund besitzt und die Zweithaut, welche die legendäre Make-up-Artist Pat McGrath für die Margiela-Show im Januar 2024 aus Gelen, Peel-off-Masken und einer Spezialflüssigkeit zusammenrührte, auf den Gesichtern der Models zur Illusion von weißem Porzellan gerann? Viermal ja.
Aber zurück zum Ausgangspunkt und der Überlegung, wie man dem Wahn von der Schippe springen könnte. Frage also: Wenn wir der Spur des Scheiterns folgen, wer profitiert?
Antwort 1: Es profitiert natürlich das Kapital. In den USA hat sich die Zahl der kosmetischen Eingriffe während der Pandemie um 19 Prozent erhöht, der Umsatz mit Hautpflegeprodukten lag 2024 bei sagenhaften 23,6 Milliarden Dollar. Keine einzige Zornesfalte ist mit dieser Irrsinnssumme weggecremt worden, man ahnt es, und genau das ist der Punkt. Würden wir unser Äußeres irgendwann weltumspannend akzeptieren, wäre die Ökonomisierung der Gesichter abgeschlossen, die Schönheitsindustrie hätte sich selbst abgeschafft.
Antwort 1b: Es profitiert das Patriarchat. All die Generationen insbesondere von Frauen, denen von Stellen, wo bis heute die Macht residiert, eingeträufelt wurde, dass ihre Augenbrauen nicht schmal oder nicht dicht genug seien, ihr Teint mal zu sonnig, mal zu bleich, der Mund zu schmal, dann wieder in der aufgeworfenen Oberlippenpartie zu lüstern, wie es dem Patriarchat gerade gefiel: All dies gehorchte immer einem Zweck.
Die Kapitel sind manchmal nur so lang wie Tweets, zum Beispiel dieses Kapitel: „im kindergarten war papa goldschmied soldat astronaut und pirat, eigentlich ist er einfach abgehauen, aber pirat klang cooler“. Eine Seite und ein Absatz ist schon ein sehr langes Kapitel. Die einzigen verwendeten Satzzeichen sind Kommata, alles ist in Kleinbuchstaben verfasst, gelegentlich kommen Emojis vor. Hinten im Buch erklärt ein unvollständiges Glossar den hilflosen Leserinnen und Lesern die coolsten aller Street-Begriffe.
Frauen bleiben zerrissen zwischen dem Wunsch, sich zu befreien und sich anzupassen
Es gibt ein Interesse daran, dass sich Frauen defizitär fühlen und anstrengen müssen. In der Zeit, die wir mit dem Nachahmen von Gesichtern verbringen, die so viel perfekter sind als unseres, kommen wir schon mal nicht auf die Idee, Männern den Job und die Macht wegzunehmen. „Sich zu akzeptieren widerspricht allem, was Frauen gelernt haben“, schreibt Rabea Weihser. „Die meisten bleiben zerrissen zwischen einer intuitiv konsumkritischen und feministischen Haltung und dem verinnerlichten Wunsch, sich dem antifeministischen Konsum und dem männlichen Blick weiter zu unterwerfen. Wie Susan Sontag sagte: Es ist eine eingebildete Krankheit, eine soziale Schizophrenie, die der weiblichen Hälfte der Bevölkerung eingeprägt wurde und zunehmend die anderen Geschlechter infiziert.“
Nachtrag. Es ist der Autorin zufolge Bürde und Inspiration zugleich, in den Schminkspiegel zu blicken. Einerseits wird man an die Jenners und Kardashians niemals heranreichen, deren Abbilder vielleicht mit Disclaimern versehen werden sollten wie die glattgebügelten Werbebilder von Hollywood-Ikonen: Achtung, nicht mal Julia Roberts sieht so aus wie Julia Roberts in dieser Anzeige für Lancôme! Andererseits: Wie lustvoll und selbstermächtigend ist es, sich selbst die Maske aufzumodellieren, die einen vervollkommnen, durch den Tag tragen und seine Zumutungen abfedern wird?
Es gibt am Ende keine leicht konsumierbaren Antworten in diesem Buch. Das ist gerade das Schöne daran.