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Empfohlen von Christine Knödler, Süddeutsche Zeitung
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Die schwedische Malerin Berta Hansson war zu Lebzeiten kurz berühmt, dann vergaß die Welt sie. Ein prächtiges Kinderbuch erzählt von ihrem Leben und ihrer Kunst.
Lerchen sind kleine Vögel, die umso vehementer tirilieren. Die Schönheit ihres Gesangs haben große Dichter wie Shakespeare oder Shelley besungen, Lerchen wird außerdem nachgesagt, dass sie auch den stärksten Böen trotzen. Dann stemmen sie sich gegen den Wind und jubilieren und fliegen immer weiter. Vielleicht war dieser Trotz der Lerchen der schwedischen Malerin Berta Hansson in die Wiege gelegt. Ihre Flügel ausbreiten und abheben wollte die Bauerntochter, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Jämtland in Nordschweden aufwuchs, ganz gewiss.
„Ich kann mich ganz klein machen, dann sehe ich aus wie ein schlafender Vogel“, steht nun im Kinderbuch der schwedischen Autorin und Illustratorin Sara Lundberg. Dafür hat sie Leben und Werk von Berta Hansson gründlich recherchiert, hat Briefe, Fotos, das Privatarchiv studiert, um in knappen, poetischen Worten nachzuerzählen. Sie antwortet in eigenen Bildern auf Hanssons Leben, deren Kunst. Und fängt so die Geschichte dieser außerordentlichen Künstlerin und Wegbereiterin ein, belebt sie wieder.
Es ist eine Aneignung, die aufgeht. Indem Sara Lundberg die Kunst und die Kraft von Berta Hansson zum Ausgangspunkt ihres eigenen Schaffens macht, indem sie Motive variiert, den Stil nachempfindet und eigene Perspektiven hinzufügt, fängt sie die Geschichte der expressionistischen Malerin ein und gibt sie weiter, wie eine freigelassene Lerche, die erneut zum Flug anhebt.
Berta Hansson hinterfragte die Wirklichkeit und verwandelte sie
Der Vater schuftet, die Töchter müssen mit anpacken, die Mutter ist an Tuberkulose erkrankt. Sie wird daran sterben. Die Rollen sind so klar verteilt wie die Zukunft. Für die Töchter sind Arbeit und Familie vorgesehen. Doch Berta will das nicht. Sie macht sich klein, damit sie tun kann, was ihr wichtig ist. Sie malt, formt aus Lehm kleine Tonvögel und schenkt sie der kranken Mutter. Die doppelseitige Illustration dieser Szene von Sara Lundberg leuchtet in warmen Farben. Sie strahlt Geborgenheit aus. Die Mutter liegt im Bett, Berta liegt zu ihren Füßen auf dem Boden. Sie zeichnet. Bilder sind an die Wand gepinnt. Das Krankenzimmer wird zur Galerie. So entsteht eine erste Ausstellung von Bertas Kinderkunst: Die Mutter glaubt an die Kraft und das Können ihrer Tochter. Es ist ein schönes, ein harmonisches Bild. Es lässt sich als grundsätzliche Ermutigung und Auftrag betrachten. Es gilt für unterschiedliche Zeiten und Kontexte. Es kann, jenseits der konkreten Lebensgeschichte, immer und überall bestärken.
Die kleine Berta macht sich noch kleiner, wenn der Vater sie mal wieder ruft. Sie soll mithelfen. Überhaupt soll sie so viel. Sie soll die Kühe auf der Weide hüten – Berta zeichnet sie lieber. In der Schule soll sie Möhren malen, stattdessen verpasst sie ihnen Gesichter, das des Lehrers, auch er ein Bestimmer, ist eines davon.
Auf dem Bild im Buch schaut er streng auf seine Klasse herab, ein Koloss in schwarzem Anzug, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die Kinder schauen zu ihm auf oder schauen Berta an – verhalten und vielleicht vorsichtig angesichts des unübersehbaren Größenunterschieds. Das Bild macht zugleich Machtverhältnisse sichtbar. Das zeichnet auch die Kunst von Berta Hansson aus: Realistisch in der Darstellung, solidarisch in der Weltsicht, präzise in der Mimik der Figuren und ihrem Verhältnis zueinander, expressionistisch in Strich und Farbigkeit hinterfragte sie die Wirklichkeit und verwandelte sie.
Eine Paula Modersohn-Becker hätte für die Bilder von Hansson wie von Lundberg Patin stehen können: im unbedingten Kampf um die eigene Freiheit wie im künstlerischen Ausdruck. Die Wahl der Themen, die oft frontal präsentierten Figuren, die überraschende Farbigkeit, der kraftvolle Strich, konzentriert, reduziert, weitgehend ohne Dekor und Hintergründe, waren zu Berta Hanssons Zeit ungewohnt und unbequem. Bis heute schauen die Bilder beider Künstlerinnen ihre Betrachterin herausfordernd an. Berta Hansson haben die sogenannten kleinen Leute als Sujet interessiert: diese, Kinder – und die Weite der schwedischen Landschaft. Von der Idylle eines Carl Larsson weit entfernt, sind ihre Bilder nicht hell, heil, heiter, sondern ambivalent, atmosphärisch, immer wieder gewaltig. Und: Sie waren lange unsichtbar.
Dem Vater trotzt das Mädchen eine höhere Schulbildung und ein Studium ab
Der Rest klingt wie ein Märchen. Den Wind unter den Flügeln hat Berta Hansson sich nicht nehmen lassen. Dem Vater hat sie eine höhere Schulbildung und ein Studium abgetrotzt, sie wurde Lehrerin an einer kleinen Volksschule in Fredrika. Sie ist weiter geflogen, sie hat weitergemalt. Die zeitgenössische Kunst hat sie in Büchern und Katalogen studiert, hat sich an berühmten Malern wie van Gogh, Gauguin, Manet, Monet geschult und ihre eigene Bildsprache entwickelt.
In Fredrika malt sie Porträts ihrer Schulkinder. Klar umrandet sind sie als Einzelfiguren in den Raum gestellt. Sie schauen uns an. Sie werden entdeckt – erst in jenem Dorf, dann, Jahrzehnte später, von Sara Lundberg. Das ist im so klugen wie kindgerechten Nachwort der Kulturjournalistin und Autorin Alexandra Sundqvist nachzulesen.
Aus einer zufälligen Begegnung mit der Schriftstellerin und Künstlerin Elsa Björkman-Goldschmidt wird für Berta eine Freundschaft fürs Leben. Einmal mehr ist da Solidarität unter Frauen. Durch die Vermittlung legt sie einen Höhenflug hin. Ihre Bilder werden unter anderem in Stockholm ausgestellt. Doch sie wird wieder in Vergessenheit geraten. „Der Vogel in mir fliegt, wohin er will“ macht sie erneut zugänglich: Das Kinderbuch ist Lebensgeschichte, Kunstgeschichte, Familien- und Freundschaftsgeschichte. Es ist Zeitdokument, Geschichte einer Emanzipation und die Geschichte einer Inspiration unter Künstlerinnen.
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