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Stefan Schulz: „Die Kinderwüste“: „Die Liebe von Eltern zu ihren Kindern wird politisch missbraucht“. Empfohlen von Jakob Biazza.
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Die Anforderungen an die Familie sind immens: Eltern sollen sich um Erziehung und Bildung kümmern, ihre Arbeitskraft in den Dienst der Wirtschaft stellen und für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen. Gleichzeitig werden Familien von der Politik vernachlässigt und hintangestellt. Kein Wunder, dass immer mehr Ehen geschieden, immer weniger Kinder geboren werden.
Warum misst die Politik Familien nicht denselben Stellwert zu wie Wirtschaftsunternehmen? Der Soziologe und Podcaster Stefan Schulz macht nicht nur die frappierende aktuelle Situation deutlich, sondern zeigt auch, dass wir unsere Zukunft gefährden, wenn wir die Rolle der Familie in unserer Gesellschaft nicht endlich grundlegend neu definieren.
Der Publizist Stefan Schulz hat ein paar radikale Gedanken zur systematischen Missachtung unseres Nachwuchses.
Vollständige Rezension anzeigen Stefan Schulz: „Die Kinderwüste“: „Die Liebe von Eltern zu ihren Kindern wird politisch missbraucht“. Empfohlen von Jakob Biazza. Der „Gender-Pay-Gap“ ist einer der großen Begriffe im Kampf um Gleichberechtigung. Es geht entsprechend regelmäßig etwas durcheinander, wenn man den Sexismus der Gesellschaft an der geringeren Bezahlung von Frauen verdeutlichen will. 18 Prozent, die Zahl kommt vom Statistischen Bundesamt, verdienen sie im Schnitt pro Stunde weniger als Männer. So hoch ist diese Zahl allerdings nur, wenn man ausschließlich aufs Geschlecht blickt und nicht auf die konkrete Arbeit. Vergleicht man einen Mann und eine Frau, die den gleichen Job haben (Oberärztin und Oberarzt, zum Beispiel), den sie gleich lang ausüben, im selben Bundesland und so weiter, beträgt der Lohnunterschied im Schnitt nur sechs Prozent. In der Regel ziehen diejenigen diese Zahl hervor, die sagen wollen: Seht her, so schlimm wie alle immer tun, ist es gar nicht. Es gehört deshalb zu den großen Leistungen von Stefan Schulz’ neuem Buch „Die Kinderwüste – Wie die Politik Familien im Stich lässt“, diese Argumentation ganz entspannt bloßzustellen. Und zu verdeutlichen, dass die sechs Prozent zwar reiner Sexismus sind, die 18 Prozent aber weiterhin das eigentliche gesellschaftliche, weil strukturelle Problem. Ab Anfang 30 nimmt der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern fast stetig zu Zunächst mal mit sehr gut kuratierten Zitaten. Aus einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts führt er folgende Zwischenüberschrift ins Feld: „Ab Anfang 30 nimmt der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern fast stetig zu.“ Und fährt fort: „Der zweite Absatz beginnt daraufhin so: ‚Frauen in Deutschland sind bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 30 Jahre alt.‘“ Schulz, unter anderem Gastgeber der erfolgreichen und unter anderem auf Youtube abrufbaren Podcasts „Die neuen Zwanziger“ (mit Wolfgang M. Schmitt) und „Fernsehpodcast“ (mit Mick Klöcker), macht das oft in diesem Buch: Thesen und Erkenntnisse, etwas zu häufig aus Zeitungstexten oder Fernsehsendungen, zu einem Mosaik verdichten. Nicht immer gelingt es ihm so gut wie beim Pay-Gap. Oft erschafft er eher ein Stimmungsbild, manchmal sogar nur ein weithin freies Assoziationswerk (etwa, wenn er die Rede des Bundespräsidenten zum Kohleausstieg über Seiten hinweg mit der Familienpolitik gegenschneidet) als ein statistisch unterfüttertes Argument. Das Ganze gerät so ab und an eher zur Polemik als zur scharfen Analyse. Das macht einiges an dem Buch angreifbar und ein paar Stellen auch latent unverständlich. Es entwickelt aber auch eine gewisse Kraft. Es stimmt schließlich, was er, angekündigt provokant, als sehr zentrale These in den Raum stellt: „Die Liebe von Eltern zu ihren Kindern wird politisch missbraucht.“ Klar, Artikel 6 des Grundgesetzes stellt Familien unter den „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ (wohlgemerkt nur Familien. Kinder tauchen als Subjekte mit eigenständigen Rechten – anders als Tiere – in der Verfassung der BRD nicht auf). In der Realität bedeuten Kinder aber weiterhin eine immense finanzielle und zeitliche Belastung, etwa weil Betreuungsangebote weiterhin fehlen und Eltern viele Aufgaben übernehmen, die besser das Bildungssystem leisten sollte. Zumindest, wenn man echte Chancengleichheit wollte. Dazu ist ein Hilfssystem entstanden, das – unter anderem, weil man es bei diversen Ministerien und Ämtern angesiedelt hat – derart unüberschaubar ist, dass zwei Milliarden an Zuschüssen, die Kindern zustünden, nicht abgerufen werden. Und das, während jedes siebte Kind in Deutschland armutsgefährdet ist – 14 Prozent. 2,1 Millionen Kinder. Und mit ihnen Mütter, die – siehe Gender-Pay-Gap – strukturell einen Karriereknick hinnehmen, weil sie eher in Teilzeit arbeiten und/oder eben nicht Oberärztin werden. Und mit in die Armut rutschen, sobald sie alleinerziehend werden. Schulz’ Lösungsansätze sind nun einigermaßen radikal. Flughöhe: ein Wahlrecht für Kinder – und zwar ab null Jahren, stellvertretend ausgeführt durch die Eltern. Es gibt dagegen ein paar sehr schlagkräftige demokratietheoretische Bedenken (unter anderem die relative Entwertung der Stimmen von Kinderlosen). Und ein paar überlegenswerte Argumente dafür (Eltern treffen jeden Tag Entscheidungen für ihre Kinder, die auch Gesellschaft, Staat und Demokratie betreffen, warum also nicht auch hier?). Als Beitrag zur Realpolitik ist „Die Kinderwüste“ damit wohl eher gewagt. Als Gedankenspiel und ganz allgemein zur Auflockerung der Hirne ist es aber durchaus spannend.
Der „Gender-Pay-Gap“ ist einer der großen Begriffe im Kampf um Gleichberechtigung. Es geht entsprechend regelmäßig etwas durcheinander, wenn man den Sexismus der Gesellschaft an der geringeren Bezahlung von Frauen verdeutlichen will. 18 Prozent, die Zahl kommt vom Statistischen Bundesamt, verdienen sie im Schnitt pro Stunde weniger als Männer. So hoch ist diese Zahl allerdings nur, wenn man ausschließlich aufs Geschlecht blickt und nicht auf die konkrete Arbeit.
Vergleicht man einen Mann und eine Frau, die den gleichen Job haben (Oberärztin und Oberarzt, zum Beispiel), den sie gleich lang ausüben, im selben Bundesland und so weiter, beträgt der Lohnunterschied im Schnitt nur sechs Prozent. In der Regel ziehen diejenigen diese Zahl hervor, die sagen wollen: Seht her, so schlimm wie alle immer tun, ist es gar nicht. Es gehört deshalb zu den großen Leistungen von Stefan Schulz’ neuem Buch „Die Kinderwüste – Wie die Politik Familien im Stich lässt“, diese Argumentation ganz entspannt bloßzustellen. Und zu verdeutlichen, dass die sechs Prozent zwar reiner Sexismus sind, die 18 Prozent aber weiterhin das eigentliche gesellschaftliche, weil strukturelle Problem.
Ab Anfang 30 nimmt der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern fast stetig zu Zunächst mal mit sehr gut kuratierten Zitaten. Aus einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts führt er folgende Zwischenüberschrift ins Feld: „Ab Anfang 30 nimmt der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern fast stetig zu.“ Und fährt fort: „Der zweite Absatz beginnt daraufhin so: ‚Frauen in Deutschland sind bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 30 Jahre alt.‘“
Schulz, unter anderem Gastgeber der erfolgreichen und unter anderem auf Youtube abrufbaren Podcasts „Die neuen Zwanziger“ (mit Wolfgang M. Schmitt) und „Fernsehpodcast“ (mit Mick Klöcker), macht das oft in diesem Buch: Thesen und Erkenntnisse, etwas zu häufig aus Zeitungstexten oder Fernsehsendungen, zu einem Mosaik verdichten. Nicht immer gelingt es ihm so gut wie beim Pay-Gap. Oft erschafft er eher ein Stimmungsbild, manchmal sogar nur ein weithin freies Assoziationswerk (etwa, wenn er die Rede des Bundespräsidenten zum Kohleausstieg über Seiten hinweg mit der Familienpolitik gegenschneidet) als ein statistisch unterfüttertes Argument. Das Ganze gerät so ab und an eher zur Polemik als zur scharfen Analyse.
Das macht einiges an dem Buch angreifbar und ein paar Stellen auch latent unverständlich. Es entwickelt aber auch eine gewisse Kraft. Es stimmt schließlich, was er, angekündigt provokant, als sehr zentrale These in den Raum stellt: „Die Liebe von Eltern zu ihren Kindern wird politisch missbraucht.“
Klar, Artikel 6 des Grundgesetzes stellt Familien unter den „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ (wohlgemerkt nur Familien. Kinder tauchen als Subjekte mit eigenständigen Rechten – anders als Tiere – in der Verfassung der BRD nicht auf). In der Realität bedeuten Kinder aber weiterhin eine immense finanzielle und zeitliche Belastung, etwa weil Betreuungsangebote weiterhin fehlen und Eltern viele Aufgaben übernehmen, die besser das Bildungssystem leisten sollte. Zumindest, wenn man echte Chancengleichheit wollte.
Dazu ist ein Hilfssystem entstanden, das – unter anderem, weil man es bei diversen Ministerien und Ämtern angesiedelt hat – derart unüberschaubar ist, dass zwei Milliarden an Zuschüssen, die Kindern zustünden, nicht abgerufen werden. Und das, während jedes siebte Kind in Deutschland armutsgefährdet ist – 14 Prozent. 2,1 Millionen Kinder. Und mit ihnen Mütter, die – siehe Gender-Pay-Gap – strukturell einen Karriereknick hinnehmen, weil sie eher in Teilzeit arbeiten und/oder eben nicht Oberärztin werden. Und mit in die Armut rutschen, sobald sie alleinerziehend werden.
Schulz’ Lösungsansätze sind nun einigermaßen radikal. Flughöhe: ein Wahlrecht für Kinder – und zwar ab null Jahren, stellvertretend ausgeführt durch die Eltern. Es gibt dagegen ein paar sehr schlagkräftige demokratietheoretische Bedenken (unter anderem die relative Entwertung der Stimmen von Kinderlosen). Und ein paar überlegenswerte Argumente dafür (Eltern treffen jeden Tag Entscheidungen für ihre Kinder, die auch Gesellschaft, Staat und Demokratie betreffen, warum also nicht auch hier?). Als Beitrag zur Realpolitik ist „Die Kinderwüste“ damit wohl eher gewagt. Als Gedankenspiel und ganz allgemein zur Auflockerung der Hirne ist es aber durchaus spannend.
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