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Frau am Steuer? Ungeheuer!
Im Grunde ist es einfach: Man darf sich nicht abwimmeln lassen. „Ich wollte mal nachfragen, wie man zu so einem wird. Also zum Taxifahrer?“, sagt Else am Telefon, nachdem sie die Anzeige in der Zeitung gelesen hat. Ob das auch Frauen können? Nein? „Das ist eine enorme Verantwortung und schwierig“, heißt es. „Und ist es denn nicht schwierig, Kinder zu erziehen?“ Ja. Schon. Also: „Wann kann ich vorbeikommen?“ Es ist das Jahr 1968. Frauen dürfen da zwar längst Auto fahren, aber andere Leute herumfahren? Gegen Geld? Eher nein. „Dann bin ich eben die Erste“, sagt Else.
Ob „Else“ aus dem gleichnamigen Roman wirklich die erste Taxifahrerin Hessens oder sogar Deutschlands war, ist eigentlich egal. Wichtiger ist, dass Else diesen Beruf überhaupt ausgeübt hat, selbstbestimmt, gegen Konventionen und lange Zeit ohne das Wissen ihrer Familie und Freunde. Die glauben, Else sei ausschließlich Hausfrau und Mutter.
Diese Else hat es tatsächlich gegeben, sie war die Großmutter der Künstlerin Katharina Zorn. Und diese Katharina Zorn, 33, sitzt jetzt wiederum in Berlin im lieblichen Garten eines Cafés, ihr gegenüber in einer Hollywood-Schaukel ihre Partnerin und Co-Autorin Jasna Fritzi Bauer, 36, bekannt als Schauspielerin aus dem Theater und als Bremer Tatort-Kommissarin Liv Moormann. Im riesigen Baum über dem Tisch sitzt eine Spatzenkolonie, ein zwitscherndes Dach.
„Es war immer nur spannend, was der Opa zu erzählen hatte. Die Oma, die kocht halt gut.“
Else, erzählt Katharina Zorn, sei das Herzstück ihrer Frankfurter Familie gewesen, liebevoll, liberal. So wie es Großmütter oft sind. „Sie hat das mit dem Taxischein mal im Nebensatz beim Essen gedroppt. Und keiner hat richtig zugehört“, sagt Zorn. Sie hat als Einzige nachgefragt: „Das hast du wirklich gemacht? Und das so lang für dich behalten?“ Erst nach dem Tod der Großmutter fängt sie an, sich ernsthaft für deren Leben zu interessieren. „Heute frage ich mich schon: Warum reagierte damals niemand?“ Sie vermutet: Weil eben auch die Familie ein Patriarchat war. „Es war immer nur spannend, was der Opa zu erzählen hatte. Die Oma, die kocht halt gut.“
Jasna Fritzi Bauers Hauptberuf als Schauspielerin etwa ist auch immer noch davon geprägt, dass die handelnden Figuren, die mit den guten Geschichten, vor allem die Männer sind. „Es gibt immer noch viel zu wenig Frauenrollen zwischen 40 und 60“, sagt sie. „Und die meisten Frauen werden immer noch oft so geschrieben, dass sie an irgendwas leiden. Meist an einem Mann. Selbst beim ‚Tatort‘ ist das so. Alle Kommissarinnen brauchen einen Boyfriend, der scheiße zu ihnen ist, sie hängen aber total an ihm.“ Als sie 2021 beim „Tatort“ anfing, wollte sie das nicht. „Keine Privatheit! Es geht um Polizei, die einen Fall löst!“
Aus dem gemeinsamen Wunsch der Künstlerinnen, das Licht auf Frauen zu richten, die etwas geleistet hatten, aber dabei konsequent übersehen wurden, entstand der Roman. Else ist viele.
„Ich bin bei Mutter und Großmutter aufgewachsen, meine Mutter hat mich sehr früh bekommen. Meine Oma sie wiederum auch“, sagt Jasna Fritzi Bauer, leicht schaukelnd, den Spatzenangriffen ausweichend. „Meine Mutter hat mich immer darin bestärkt, dass ich tun und werden kann, was ich will. Dass ich ihren Rückhalt habe. Sie hat mir Mut beigebracht.“ Katharina Zorn wurde selbst jung Mutter. Weitermachen, durchhalten, sich Netzwerke suchen, das habe sie von ihrer Mutter gelernt, sagt Zorn. Ihre Tochter erzieht sie zusammen mit Jasna Fritzi Bauer, die Familie lebt auf Mallorca.
„Else“ spielt abwechselnd in der relativen Gegenwart, auf einer Reise, die Else mit ihrer Enkelin Emma nach Südfrankreich macht, und dann wieder in der Vergangenheit, in den späten 1960er-Jahren, als Elses Leben vor allem durch die Entscheidungen ihres Mannes Willy geprägt war. Zum Frankfurter Tennisklub hatten Frauen nur als adrette Zuschauerinnen Zutritt, zum Stammtisch ging Else nicht mit, sie musste ja die Töchter hüten, bis der Mann betrunken nach Hause kam. Alltag in vielen Familien. Bis Willy beruflich nach Indien fahren muss, sechs Monate lang. Und sie keine Lust hat, einfach so zurückzubleiben. Und den Taxischein macht.
Autofahren ist ja immer auch eine Grenzüberschreitung. Die Eroberung neuer Räume. Geschwindigkeit, Unabhängigkeit. Allerdings werden Autos seit ihrer Erfindung bis heute hartnäckig mit Männlichkeit assoziiert. Männlicher Kompetenzbereich sind sie sowieso. Man schaue sich dazu die Fernsehsendung „Der 7. Sinn“ an, die Mitte der 70er-Jahre über die Gefahr „Frau am Steuer“ informierte. In einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks von 1960 werden Männer befragt, wie viel Angst sie vor den „charmanten Chauffeusen“ haben, also den Taxifahrerinnen, die neuerdings in München unterwegs waren.
„Bevor ich mit einer Frau fahre, fahre ich lieber Straßenbahn“, hört auch Else an ihrem ersten Arbeitstag. Doch bald erlebt sie auch das Gegenteil: „Als Frau fühlt man sich schon wohler, bei einer anderen Frau einzusteigen!“, sagt eine Passagierin zu Else. Sie denkt: „Ab jetzt gilt, für sich selbst einzustehen. Sie verspricht sich, dass sich von nun an vieles ändern soll.“ Sie fährt weiter.
Jasna Fritzi Bauer hat ihren Führerschein erst vor drei Jahren gemacht, vorher kam immer etwas dazwischen. Jetzt ist sie froh: „Das Auto gibt mir eine krasse Freiheit. Einfach einsteigen und irgendwo hinfahren.“ Über Else sagt sie: „Durch das Taxifahren und das sich Öffnen für einen anderen gesellschaftlichen Raum verschiebt sich ihr ganzes Weltbild.“ Im Roman heißt es: „Wenn sie weiterhin in ihrer häuslichen Welt gelebt hätte, hätte sie kaum andere Meinungen hören können, denn sie hätte nie so viele verschiedene Menschen getroffen, geschweige denn sich mit ihnen unterhalten. Sie hätte auch nie erfahren, wie gefährlich Frankfurt sein kann und wie sie einen in dem einem Viertel aufsaugen und in einem anderen ausspucken kann.“
Bleibt die Frage, wie das um Himmels willen geht, als Liebespaar zusammen einen Roman zu schreiben? Manche Paare können nicht mal zusammen einkaufen gehen, ohne zu streiten. So schwer sei das nicht gewesen, schulterzucken die Autorinnen, sie hätten einen groben Fahrplan erstellt und los, die eine schrieb dieses Kapitel, die andere das nächste. Dann vorlesen, kritisieren. „Es gibt kaum Seiten, die nur eine von uns geschrieben hat. Partnerschaft hin oder her – wir sind befreundet und teilen eine Sprache und einen Humor“, sagt Katharina Zorn. Das klingt fast unheimlich harmonisch, aber natürlich auch sehr sympathisch.
So ähnlich liest sich dann auch der ganze Roman. Nie fordernd, nie zu böse oder gar abgründig. Vielleicht ein bisschen brav. „Else“ ist sanftes Empowerment, die schöne Geschichte eines Ausbruchs innerhalb fester Grenzen. Darin aber liegt wiederum viel Wahrheit, schließlich war und ist es Menschen ja nur selten möglich, gleich das ganze System zu sprengen, das sie einschränkt, auch wenn das gern erwartet wird, besonders von Frauen. Die Kunst liegt viel mehr darin, innerhalb bestehender Zwänge eine Art Selbstbestimmtheit zu finden. „Else“ macht es vor.