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Mit Thomas Mann in die Sommerfrische.
Die Zweifel verderben Thomas Mann fast den ganzen Urlaub. Fast drei Jahre hat er an seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ geschrieben, ein Buch, das später als Beleg für seine reaktionäre Gesinnung während des Ersten Weltkriegs gelten wird. Doch jetzt im August 1918 sitzt er in der Sommerfrische am Tegernsee und korrigiert die Fahnen des 600-Seiten-Wälzers, den „er jetzt eigentlich genauso gut im Garten verbrennen könnte“.
Verteidigt Mann darin doch die seelenvolle, tragische germanische Kultur erbittert gegen das Feindbild der modernen, demokratischen Zivilisation. Nur dumm, dass Letztere, vertreten durch die Alliierten, gerade dabei ist, den Ersten Weltkrieg siegreich zu beenden. „Schlechtes, sehr schlechtes Timing“, schreibt Kerstin Holzer in ihrem neuen Buch „Thomas Mann macht Ferien“, das passend zum diesjährigen 150. Geburtstag des Schriftstellers erscheint. Mit viel Witz und Empathie entwirft sie darin ein detailreiches, amüsantes Panorama des letzten Kriegssommers.
Holzer zeichnet einen selbstkritischen Schriftsteller, einen „tief zerquälten und verwirrten Menschen“, der Zahnweh hat und von Tortenstücken und seinem Bruder Heinrich, dem „liberalen Demokratiesympathisanten“, träumt. Zudem muss er auch noch den Besuch von Schwiegermutter Hedwig Pringsheim ertragen, die ihm, dem „Kriegsbejubler“, ziemlich kritisch gegenübersteht. Bloß gut, dass er sich auch hier in ein Arbeitszimmer zurückziehen und zur Erholung am Manuskript von „Herr und Hund“ schreiben kann.
Kerstin Holzer, Jahrgang 1967, hat sich schon mehrmals mit der Familie Mann beschäftigt. Ihr Buch über die Schriftstellerin, Seerechtlerin und Umweltschützerin Elisabeth Mann Borgese, die jüngste Mann-Tochter, 2003 erschienen, wurde ein Spiegel-Bestseller. Danach konzentrierte sie sich in „Monascella“ auf das „Halbtalentchen“ der Familie, wie Katia Mann reichlich abschätzig ihre Tochter Monika nannte. In ihrem jüngsten Werk nun folgt die Münchner Journalistin und Autorin der Familie in die Sommerfrische an den Tegernsee.
Dort kommen die Manns, begleitet von Dienstboten und Hund Bauschan, am 15. Juli nach einer „höllischen“ Bahnfahrt an, setzen mit einem Boot über ins Dorf Abwinkl zur Villa Defregger, dem Ferienziel an der Südwestseite des Sees. Im Jahr zuvor hatte Thomas Mann sein Landhaus in Bad Tölz verkauft. Die vier Kinder Erika, Klaus, Golo und Monika hatten es sehr geliebt. Aber hier am Tegernsee halten sie es auch gut aus, zumal sie nicht unter der Dauerbewachung ihrer Eltern stehen. „Die haben Besseres zu tun: Der Vater schreibt, denkt oder ruht; die Mutter managt ihn, den Haushalt und ihr neues Baby.“ Katia obliegt es auch, genügend Essen heranzuschaffen in diesem kargen Kriegssommer.
Holzer streift viele unterschiedliche Aspekte des Lebens am See. Erzählt von den anderen Prominenten, die am See leben: Ludwig Thoma etwa oder Olaf Gulbransson. Dass der Zeichner 1933 den „Protest der Richard-Wagner-Stadt München“ gegen Thomas Mann unterschreibt, wird zu einer großen Enttäuschung für die Manns, schließlich kannte man sich vom Simplicissimus her.
Wenn der „Meersüchtige“ erstmals einen Gipfel erklimmt
Katia trägt in der Urlaubsidylle unkonventionelle Folklorekleider, handgefertigte Unikate, „das perfekte Sommerkleid einer Frau, die eben nicht nur Hausfrau und Mutter ist, sondern heimliche Königin eines Künstlerhaushalts“. Generell zeichnet Holzer die Mann’sche Ehe in sehr positivem Licht. Zwar vermerkt sie, dass Golo Mann sich später an „reichlich Streit und hadernde Gespräche zwischen den Eltern in den Kriegsjahren“ erinnert. Nach außen steht Katia „felsenfest zu ihrem Ehemann“, der sie in seine Arbeit einbezieht und ihr als Erster vorliest. Ihr gemeinsames Leben sei jedenfalls „kein verlogener Fassadenbau“, schreibt Holzer. Und Thomas Mann, hingerissen von seinem „Kindchen“, dem Baby Elisabeth, entdeckt laut Holzer in diesem Tegernseer Sommer Liebe und Güte als neue und starke Impulse.
Mann, der „Meersüchtige“, erklimmt sogar erstmals einen Gipfel, wandert mit Katia auf den Hirschberg. Zurück in München notiert er in Erinnerung an die Sommerfrische: „Tegernsee lebt noch in mir.“ Und schreibt erst mal den „Gesang vom Kindchen“, bevor er sich wieder seinem Romanprojekt „Zauberberg“ zuwendet.