BLACK WEEKEND: 10% Rabatt auf ALLES mit dem Code BLACK24 (außer Bücher und Wein-Abos)
Stücke. Originalausgabe - Empfohlen von Johanna Adorján, Süddeutsche Zeitung
[{"variant_id":"46174011556107" , "metafield_value":""}]
Am 26. Februar 2024 starb völlig überraschend, mit nur 61 Jahren, der Regisseur und Autor René Pollesch. Es wird somit nie wieder ein neues Stück von ihm geben. Und auch keine neue Aufführung irgendeines seiner Werke, denn die entstanden während des Probeprozesses in so enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Schauspielern, dass er verfügte, dass sie nie von anderen Schauspielern nachgespielt werden durften. Man kann daher heute nur noch mit wahnsinnig viel Glück hier oder da etwas von Pollesch sehen, weil das jeweilige Original-Ensemble eben damit noch auftritt. Aber die Hauptvorstellung ist zu Ende. Der Vorhang hat sich mit Polleschs Tod auch für die Präsenz seiner Werke auf Bühnen geschlossen. Was eindrucksvoll zeigt, was für ein unglaublich uneitler Künstler er war: null Komma null an seinem Nachruhm interessiert.
Nun verhält es sich aber mit Pollesch-Stücken so, dass, wenn man so will, der Text das Stück ist. Gespielt wird sowieso nicht, jedenfalls keine stringente Handlung, die Schauspieler verkörpern auch keine Rollen, jedenfalls keine festen, und das Bühnenbild richtet sich hier nicht etwa nach dem Stoff, sondern die Stücke entstanden meist überhaupt erst nach Vorgabe des Bühnenbilds (bis zu dessen Tod 2015 stammte dieses in der Regel von Bert Neumann). Im Grunde besteht ein Pollesch-Stück aus einem einzigen zusammenhängenden Text, der, inhaltlich wiederkehrende Motive verhandelnd, auf verschiedene Sprecherinnen und Sprecher verteilt ist. „Ja, genau!“ – mit dieser Zauberformel fielen sie sich bei Pollesch auf der Bühne ins Wort und brachten dann, jeder mit seinem ganz eigenen Temperament, die mit Diskursbegriffen durchsetzten Textmassen zum Funkeln.
Soweit jedenfalls die Theorie. Und die lässt sich weiterhin nachlesen. Etwa in dem 2014 bei Rowohlt erschienenen, weiterhin einwandfrei im Handel erhältlichen Taschenbuch „Kill your Darlings“, das sich mit seinen schwarzen Blockbuchstaben auf leuchtend rotem Grund sowieso in jedem Buchregal hübsch ausnimmt. Es umfasst acht Pollesch-Stücke, darunter so legendäre wie „Ein Chor irrt sich gewaltig“ (2009), so lustige wie „Fantasma“ (2008) und so bekannte wie das titelgebende „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“ (2012), und führt einem noch einmal vor Augen, wie ernsthaft und albern zugleich Pollesch die Themen anging, die ihn – und seine Schauspieler – da gerade interessierten. Ob das die Verheerungen waren, die der Kapitalismus in den menschlichen Seelen anrichtet, Gentrifizierung, Selbstoptimierungswahn oder sonst etwas Hochtheoretisches oder zutiefst Konkretes, das er oft so unnachahmlich in den Sprachduktus von Synchronfassungen amerikanischer Siebziger-Jahre Fernsehserien brachte („Ed, setz dich. Kramen wir ein paar Erinnerungen raus“).
Es sei jedoch dazugesagt, dass der Text allein, und mehr kann ein Buch ja nicht liefern, letztlich nichts von dem Zauber verrät, den so ein Pollesch-Abend ausmachte. Denn seine Stücke waren eben doch mehr als Text, waren auch die Menschen, die ihn sprachen, ob im Tempo einer rasanten Verwechslungskomödie oder eher wie eine Beschwörung. Aber es ist eben alles vergänglich, nichts bleibt bestehen, schon gar nicht im Theater. Der große, uneitle, interessierte, kluge, freundliche René Pollesch ist abgetreten, und alles, was uns bleibt, ist Text.
SZ ERLEBEN NEWSLETTER
Geben Sie einfach Ihre Daten ein und abonnieren Sie kostenlos unseren Newsletter: