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Amerika, Russland und die wahre Geschichte der Nato-Osterweiterung - Rezensiert in der SZ von Stefan Kornelius
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Vollständige Rezension anzeigen "Letztendlich steht schwarz auf weiß im Vertrag: Die Nato darf sich erweitern" Die Historikerin Mary E. Sarotte präsentiert in ihrem Buch die "wahre Geschichte der Nato-Osterweiterung". Ein Gespräch über die Motive der Politiker im Jahr 1990, die merkwürdige Rolle von Hans-Dietrich Genscher und über Wladimir Putin, der Geschichte als Waffe benutzt. Gab es während der Verhandlungen zur deutschen Vereinigung wirklich ein Versprechen an Michail Gorbatschow, die Nato nicht nach Osten auszudehnen? Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wird diese Frage neu und hitzig diskutiert. Die US-Historikerin Mary Elise Sarotte, die an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS) in Washington DC lehrt, hat sich wie niemand anderer in diese Geschichte vertieft. Ihr viel gelobtes Werk "Not one inch eastwards" ist soeben auf Deutsch erschienen. "SZ: Sie beschreiben mithilfe vieler Originalquellen, wie sich das Verhältnis zwischen Deutschland, dem Westen und Russland nach dem Fall der Mauer entwickelt hat. Heute liefert diese historische Periode den Grund für einen Krieg, wenn man Wladimir Putin Glauben schenkt. Mary E. Sarotte: Als ich vor drei Jahren das Buch schrieb, habe ich schon das Schlimmste befürchtet. Als Wissenschaftlerin fühle ich mich bestätigt, als Mensch bin ich tief erschrocken. Putin hat gerne zu Jahrestagen der Sowjet-Geschichte Gewalt angewendet, häufig gab es Provokationen oder Cyberangriffe. Zu seinen Geburtstagen starben Dissidenten. Wir standen vor dem 30. Jahrestag der Trennung Russlands von der Ukraine - die Chancen waren groß, dass etwas passiert. Deswegen habe ich das Buch zu diesem Zeitpunkt auf Englisch veröffentlicht. "Putin fordert die Rückkehr zur europäischen Ordnung der Neunzigerjahre, die Erweiterung der Nato bezeichnet er als absprachewidrig. Gab es nun eine Zusage, die Nato nicht auf das vereinigte Deutschland und in einer zweiten Phase nach Osteuropa auszudehnen? Wer den einen Satz sucht, braucht mein Buch nicht zu lesen. Abgesehen davon bin ich eine große Anhängerin des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Es gab gleich zu Beginn der Vereinigungsjahres 1990 Gedankenspiele - zwischen US-Außenminister James Baker und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, auch zwischen dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und seinem sowjetischen Kollegen Eduard Schewardnadse. Die sicherheitspolitische Architektur war überall Thema - zwischen Helmut Kohl und Gorbatschow, zwischen Kohl und dem US-Präsidenten George H. W. Bush. Richtig. Zu Beginn der Vereinigungsphase wurde die Idee eines Erweiterungsverzichts als Gedankenspiel diskutiert, aber Baker erhielt sehr schnell von Bush Weisung, dass er nicht mit Gorbatschow darüber hätte sprechen sollen. Bush war nicht der Meinung, dass die USA ein solches Versprechen geben sollten. Baker hat das akzeptiert und sogar dem Auswärtigen Amt schriftlich mitgeteilt, dass es ihm leidtue und er für Verwirrung gesorgt habe. Er bat Genscher, mit diesem Thema aufzuhören. Genscher hat das schlichtweg ignoriert ... ... bis ihm Bundeskanzler Kohl im März einen Brief geschrieben hat. Darin forderte er ihn "in aller Form" auf, solche Gedankenspiele nicht mehr mitzumachen, das sei nicht die Position der Bundesregierung. All das spielte sich innerhalb von sechs Wochen in tumultuösen Zeiten ab. Aber Genscher hat es dennoch weitergetrieben, bis zur Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags am 12. September 1990 in Moskau, der die äußeren Bedingungen der Vereinigung geregelt hat. Zur Unterzeichnung fragten sich die westlichen Alliierten, auf welcher Seite Genscher stand. Es kam dann so weit, dass Genscher nachts um eins zu Baker ins Hotel kam, den Außenminister wecken ließ und auf ein Gespräch bestand. Etwa um zwei Uhr morgens haben sie sich auf eine Protokollnotiz verständigt, in der steht, dass nichtdeutsche Nato-Truppen östlich der Grenze von 1989 aktiv sein dürfen - nach Abzug der sowjetischen Truppen. Es dürfe sich nur nicht um eine Verlegung handeln. Über den Begriff der Verlegung hatte die Bundesrepublik Deutschland zu entscheiden. Letztendlich steht schwarz auf weiß im Vertrag: Nichtdeutsche Nato-Truppen dürfen östlich der Grenzen aktiv werden, die Nato darf sich erweitern. Moskau hat unterschrieben, ratifiziert und Milliarden für den Abzug kassiert. Was war Genschers Motiv? Es gab eine breite sicherheitspolitische Debatte über die Gefahr eines Vakuums oder eines neutralen Deutschlands - eine Sorge, die übrigens auch Gorbatschow teilte. Ich will Genscher nicht unterstellen, dass er eine Doppelrolle spielte. Er hatte eine andere Vision. Er war tief davon überzeugt, dass die Nato und der Warschauer Pakt in einer gemeinsamen Organisation im Rahmen des KSZE-Prozesses aufgehen, quasi verschmelzen sollten. Genschers Hoffnung war offenbar, dass die Sicherheit Europas so besser herzustellen wäre. Vernünftige Menschen können darüber unterschiedliche Meinungen haben, ohne Zweifel. Aber Genscher war nicht Bundeskanzler. Helmut Kohl hatte ganz am Anfang ein bisschen geschwankt, aber Bush hat ihn überzeugt, dass sich die Nato bewährt habe. Das war zu einem Zeitpunkt, wo noch niemand über den Zusammenbruch des Warschauer Pakts gesprochen hat. Falsch, natürlich haben viele Politiker schon an die Zeit danach gedacht. Der Warschauer Pakt existierte zwar bis 1991, aber Ungarn hat sich zum Beispiel bereits am 16. November 1989 um eine Mitgliedschaft in der EG beworben. Schon damals wurde kommuniziert, dass Budapest eigentlich eine Mitgliedschaft in der Nato anstrebe, aber die EG bot leichter Deckung. Alles andere wäre für Gorbatschow lebensgefährlich gewesen, und niemand wollte seinen Sturz riskieren, ehe nicht alle sowjetischen Truppen abgezogen waren. Innere Motive waren doch überall vordringlich - selbst in der Sowjetunion, wo Gorbatschow die wirtschaftliche Implosion abwenden wollte. Umso wichtiger, dass wir kritisch mit der Vergangenheit umgehen. Wir sehen es ja an Wladimir Putin. Er benutzt Geschichte als Waffe. Darin liegt der Wert dieses Buches. Es geht mir um die Versachlichung einer komplizierten Entscheidung, bei der viele Faktoren eine Rolle gespielt haben. Hätte der Westen, hätten die USA dennoch weitsichtiger agieren und vielleicht gar Spätfolgen wie den Ukraine-Krieg verhindern können? Außenpolitik wartet nicht auf Innenpolitik - das ist die Lehre. Im Jahr 1992 hatten wir vermutlich den größten Einfluss auf Russland und die Gestaltung der Zukunft. Aber 1992 war in den USA Wahlkampf, den Bush erstaunlicherweise verloren hat. Bis die Clinton-Regierung installiert war, ging viel Zeit verloren. Die fragile Demokratie und die Marktwirtschaft in Russland zeigten schon gefährliche Schwächen. Selten lässt sich die Folge historischer Entscheidungen so plastisch erkennen wie heute mit dem Ukraine-Krieg. Nach dem Kalten Krieg wäre es das Wichtigste gewesen, gute Beziehungen zu Osteuropa, Russland und der Ukraine aufzubauen. Es gab eine Phase vielversprechender Abrüstung und Kooperation. Aber die hielt nicht lange. Viele Faktoren haben dazu beigetragen, dass diese Beziehungen gescheitert sind. Das ist die eigentliche Tragödie. Gerade in Deutschland hält sich der Mythos, man habe Russland in die Enge getrieben. Warum ist es so schwer, einen historisch ruhigeren Blick zu finden? Das geht nicht nur den Deutschen so, das ist in der ganzen Welt umstritten, auch weil die Deutung bis heute politisch instrumentalisiert wird. Ich habe an diesen Verhandlungen nicht teilgenommen, nichts aus dem Buch stammt aus einer persönlichen Erinnerung. Aber als Historikerin kann ich helfen. Das sind keine undurchdringlichen Mysterien, es gab Verhandlungen, Protokolle, Briefe. Ich hoffe, dass wir nun seriöser darüber sprechen können, auf einem besseren Niveau. Damit werden nicht alle einverstanden sein, aber es gibt nun Beweise. Das war mir wichtig, weil der Konflikt der Systeme sonst nicht zur Ruhe kommt.
Die Historikerin Mary E. Sarotte präsentiert in ihrem Buch die "wahre Geschichte der Nato-Osterweiterung". Ein Gespräch über die Motive der Politiker im Jahr 1990, die merkwürdige Rolle von Hans-Dietrich Genscher und über Wladimir Putin, der Geschichte als Waffe benutzt.
Gab es während der Verhandlungen zur deutschen Vereinigung wirklich ein Versprechen an Michail Gorbatschow, die Nato nicht nach Osten auszudehnen? Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wird diese Frage neu und hitzig diskutiert. Die US-Historikerin Mary Elise Sarotte, die an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS) in Washington DC lehrt, hat sich wie niemand anderer in diese Geschichte vertieft. Ihr viel gelobtes Werk "Not one inch eastwards" ist soeben auf Deutsch erschienen.
"SZ: Sie beschreiben mithilfe vieler Originalquellen, wie sich das Verhältnis zwischen Deutschland, dem Westen und Russland nach dem Fall der Mauer entwickelt hat. Heute liefert diese historische Periode den Grund für einen Krieg, wenn man Wladimir Putin Glauben schenkt.
Mary E. Sarotte: Als ich vor drei Jahren das Buch schrieb, habe ich schon das Schlimmste befürchtet. Als Wissenschaftlerin fühle ich mich bestätigt, als Mensch bin ich tief erschrocken. Putin hat gerne zu Jahrestagen der Sowjet-Geschichte Gewalt angewendet, häufig gab es Provokationen oder Cyberangriffe. Zu seinen Geburtstagen starben Dissidenten. Wir standen vor dem 30. Jahrestag der Trennung Russlands von der Ukraine - die Chancen waren groß, dass etwas passiert. Deswegen habe ich das Buch zu diesem Zeitpunkt auf Englisch veröffentlicht.
"Putin fordert die Rückkehr zur europäischen Ordnung der Neunzigerjahre, die Erweiterung der Nato bezeichnet er als absprachewidrig. Gab es nun eine Zusage, die Nato nicht auf das vereinigte Deutschland und in einer zweiten Phase nach Osteuropa auszudehnen?
Wer den einen Satz sucht, braucht mein Buch nicht zu lesen. Abgesehen davon bin ich eine große Anhängerin des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Es gab gleich zu Beginn der Vereinigungsjahres 1990 Gedankenspiele - zwischen US-Außenminister James Baker und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, auch zwischen dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und seinem sowjetischen Kollegen Eduard Schewardnadse.
Die sicherheitspolitische Architektur war überall Thema - zwischen Helmut Kohl und Gorbatschow, zwischen Kohl und dem US-Präsidenten George H. W. Bush.
Richtig. Zu Beginn der Vereinigungsphase wurde die Idee eines Erweiterungsverzichts als Gedankenspiel diskutiert, aber Baker erhielt sehr schnell von Bush Weisung, dass er nicht mit Gorbatschow darüber hätte sprechen sollen. Bush war nicht der Meinung, dass die USA ein solches Versprechen geben sollten. Baker hat das akzeptiert und sogar dem Auswärtigen Amt schriftlich mitgeteilt, dass es ihm leidtue und er für Verwirrung gesorgt habe. Er bat Genscher, mit diesem Thema aufzuhören.
Genscher hat das schlichtweg ignoriert ...
... bis ihm Bundeskanzler Kohl im März einen Brief geschrieben hat. Darin forderte er ihn "in aller Form" auf, solche Gedankenspiele nicht mehr mitzumachen, das sei nicht die Position der Bundesregierung.
All das spielte sich innerhalb von sechs Wochen in tumultuösen Zeiten ab.
Aber Genscher hat es dennoch weitergetrieben, bis zur Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags am 12. September 1990 in Moskau, der die äußeren Bedingungen der Vereinigung geregelt hat. Zur Unterzeichnung fragten sich die westlichen Alliierten, auf welcher Seite Genscher stand. Es kam dann so weit, dass Genscher nachts um eins zu Baker ins Hotel kam, den Außenminister wecken ließ und auf ein Gespräch bestand. Etwa um zwei Uhr morgens haben sie sich auf eine Protokollnotiz verständigt, in der steht, dass nichtdeutsche Nato-Truppen östlich der Grenze von 1989 aktiv sein dürfen - nach Abzug der sowjetischen Truppen. Es dürfe sich nur nicht um eine Verlegung handeln. Über den Begriff der Verlegung hatte die Bundesrepublik Deutschland zu entscheiden. Letztendlich steht schwarz auf weiß im Vertrag: Nichtdeutsche Nato-Truppen dürfen östlich der Grenzen aktiv werden, die Nato darf sich erweitern. Moskau hat unterschrieben, ratifiziert und Milliarden für den Abzug kassiert.
Was war Genschers Motiv? Es gab eine breite sicherheitspolitische Debatte über die Gefahr eines Vakuums oder eines neutralen Deutschlands - eine Sorge, die übrigens auch Gorbatschow teilte.
Ich will Genscher nicht unterstellen, dass er eine Doppelrolle spielte. Er hatte eine andere Vision. Er war tief davon überzeugt, dass die Nato und der Warschauer Pakt in einer gemeinsamen Organisation im Rahmen des KSZE-Prozesses aufgehen, quasi verschmelzen sollten. Genschers Hoffnung war offenbar, dass die Sicherheit Europas so besser herzustellen wäre. Vernünftige Menschen können darüber unterschiedliche Meinungen haben, ohne Zweifel. Aber Genscher war nicht Bundeskanzler. Helmut Kohl hatte ganz am Anfang ein bisschen geschwankt, aber Bush hat ihn überzeugt, dass sich die Nato bewährt habe.
Das war zu einem Zeitpunkt, wo noch niemand über den Zusammenbruch des Warschauer Pakts gesprochen hat.
Falsch, natürlich haben viele Politiker schon an die Zeit danach gedacht. Der Warschauer Pakt existierte zwar bis 1991, aber Ungarn hat sich zum Beispiel bereits am 16. November 1989 um eine Mitgliedschaft in der EG beworben. Schon damals wurde kommuniziert, dass Budapest eigentlich eine Mitgliedschaft in der Nato anstrebe, aber die EG bot leichter Deckung. Alles andere wäre für Gorbatschow lebensgefährlich gewesen, und niemand wollte seinen Sturz riskieren, ehe nicht alle sowjetischen Truppen abgezogen waren.
Innere Motive waren doch überall vordringlich - selbst in der Sowjetunion, wo Gorbatschow die wirtschaftliche Implosion abwenden wollte.
Umso wichtiger, dass wir kritisch mit der Vergangenheit umgehen. Wir sehen es ja an Wladimir Putin. Er benutzt Geschichte als Waffe. Darin liegt der Wert dieses Buches. Es geht mir um die Versachlichung einer komplizierten Entscheidung, bei der viele Faktoren eine Rolle gespielt haben.
Hätte der Westen, hätten die USA dennoch weitsichtiger agieren und vielleicht gar Spätfolgen wie den Ukraine-Krieg verhindern können?
Außenpolitik wartet nicht auf Innenpolitik - das ist die Lehre. Im Jahr 1992 hatten wir vermutlich den größten Einfluss auf Russland und die Gestaltung der Zukunft. Aber 1992 war in den USA Wahlkampf, den Bush erstaunlicherweise verloren hat. Bis die Clinton-Regierung installiert war, ging viel Zeit verloren. Die fragile Demokratie und die Marktwirtschaft in Russland zeigten schon gefährliche Schwächen.
Selten lässt sich die Folge historischer Entscheidungen so plastisch erkennen wie heute mit dem Ukraine-Krieg.
Nach dem Kalten Krieg wäre es das Wichtigste gewesen, gute Beziehungen zu Osteuropa, Russland und der Ukraine aufzubauen. Es gab eine Phase vielversprechender Abrüstung und Kooperation. Aber die hielt nicht lange. Viele Faktoren haben dazu beigetragen, dass diese Beziehungen gescheitert sind. Das ist die eigentliche Tragödie.
Gerade in Deutschland hält sich der Mythos, man habe Russland in die Enge getrieben. Warum ist es so schwer, einen historisch ruhigeren Blick zu finden?
Das geht nicht nur den Deutschen so, das ist in der ganzen Welt umstritten, auch weil die Deutung bis heute politisch instrumentalisiert wird. Ich habe an diesen Verhandlungen nicht teilgenommen, nichts aus dem Buch stammt aus einer persönlichen Erinnerung. Aber als Historikerin kann ich helfen. Das sind keine undurchdringlichen Mysterien, es gab Verhandlungen, Protokolle, Briefe. Ich hoffe, dass wir nun seriöser darüber sprechen können, auf einem besseren Niveau. Damit werden nicht alle einverstanden sein, aber es gibt nun Beweise. Das war mir wichtig, weil der Konflikt der Systeme sonst nicht zur Ruhe kommt.
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