Unsere Highlight-Produkte aus dem Jahr 2024 - jetzt entdecken!
Rezensiert in der SZ von Barbara Vorsamer
[{"variant_id":"43651248161035" , "metafield_value":""}]
Album, Promotion, Tour. Beinahe zwanzig Jahre lang bestimmt die Dynamik des Musikbetriebs Judith Holofernes' Leben. In dieser Zeit wird sie, mit Wir sind Helden und ihrem Soloprojekt, zu einer der bekanntesten und prägendsten Sängerinnen ihrer Generation. In ihrem autobiografischen Buch blickt sie jetzt zurück auf die Zeit nach den Helden, auf Krisen, Träume und eine wegweisende Entscheidung - und zeigt sich dabei als feinsinnige Erzählerin.
Mit großer Klarheit und Zartheit und dem ihr eigenen Witz schreibt Holofernes über Fluch und Segen des frühen Erfolgs der Helden; über die Vereinbarkeit von Familie und Frontfrausein; über die öffentliche Wahrnehmung des eigenen Körpers, das Aufwachsen mit ihrer lesbischen Mutter in Freiburg; über die tiefen Einschnitte in ihrem Leben, die Zweifel, den Schmerz. Immer wieder geht es auch um die Musikbranche, um das Verhältnis zu ihren Fans, eigenartige Konzerte im Hellen, aber auch um die starren Mechanismen des Betriebs und den Sexismus.
Eindrücklich zeigt Judith Holofernes in »Die Träume anderer Leute«, wie sie sich nach und nach aus den kommerziellen Zwängen und der Enge des Musikbetriebs befreit hat. Wie sie zu der Künstlerin wurde, die sie so lange sein wollte - und damit ihr Leben zurückbekam.
Bekannt wurde Judith Holofernes mit ihren Hymnen gegen die Anpassung als Sängerin und Texterin der Band Wir sind Helden. Doch, so zeigt ihr jüngster Roman, lebte sie damit bloß die "Träume anderer Leute". Durch die Gleichzeitigkeit einer Musikerinnenkarriere und des Mutterseins in permanente Zerrissenheit getrieben, verschwinden ihre eigenen Bedürfnisse gänzlich im Hintergrund. Ihr Roman besticht nun, wie zuvor die Songs, durch Holofernes' Gabe, Worte für allgemeingeteilte Gefühle zu finden, die niemals abgenutzt klingen.
In den Nullerjahren gelang Judith Holofernes mit ihrer Band "Wir sind Helden" eine Hymne gegen die Anpassung nach der anderen. Jetzt hat sie aufgeschrieben, wie schmerzhaft sie sich dafür verbiegen musste.
Na gut, hätte man sich eigentlich denken können, dass es kein Spaziergang ist, nachts Headlinerin bei Rock am Ring und tagsüber die Mutter zweier Kleinkinder zu sein. Es wäre aber irgendwie ganz schön gewesen, wenn doch.
In ihrem autobiografischen Buch "Die Träume anderer Leute" zertrümmert Judith Holofernes, ehemals Kopf und Sängerin von Wir sind Helden und derzeit Künstlerin mit Patreon-Gefolgschaft, das Trugbild von der Vereinbarkeit sehr viel gründlicher als viele wissenschaftliche Studien und engagierte Konferenzen, die sich seit Jahren verdienstvoll am Thema abarbeiten. Zur Erinnerung: In den Nullerjahren war die 1976 in West-Berlin geborene Sängerin eine strahlende Heldin ihrer Generation, die der Welt mit hinreißenden Zeilen wie dieser einen freundlichen Mittelfinger hingestreckt hatte: "Ich gebe zu, ich war am Anfang entzückt, doch euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht, wenn man sich bückt" (aus "Guten Tag"). Oder dieser: "Keiner weiß wieso wohin, doch alle ahnen: hinter jeder Kurve goldene Bananen" (aus "Rüssel an Schwanz"). Oder dieser: "Du musst hier nicht dazugehören, aber such dir, was zu dir gehört" (aus "The Geek"). Oder auch dieser: "Ist jeder, der sich nie beschwert, am Ende wirklich unbeschwert?" (aus "Ist das so?").
So eine schöne Metapher für dieses leidige Vereinbarkeitsproblem hat man lange nicht gelesen.
Problemlos fände man noch mindestens zwei Dutzend weitere Zeilen, in denen Judith Holofernes wortverliebt beschreibt, wie schlecht diese Welt aus Kapitalismus, Wachstum und Werbung vor sich hin funktioniert. Nebenbei zeigte sie, dass man Rockstar und Mutter gleichzeitig sein konnte - und danach, wie man mit geradem Rücken aus dem Pop-Olymp absteigt und eine kleine, feine Indiekarriere startet. Noch später hörte sie ganz auf zu singen. Seitdem schreibt sie Tiergedichte und illustriert Puzzles für die verrückten Vollmeisen, die ihr über die Crowdfunding-Plattform Patreon das Künstlerinnenleben finanzieren (die Tantiemen aus den alten Songs helfen, klar). Sowohl Aufstiegs- als auch Ausstiegsgeschichte sind derart cool, dass es einen schier zerschmettert, nun in ihrer Autobiografie lesen zu müssen, wie viel Schmerz dahinter und darunter liegt und lag.
Denn noch während Wir sind Helden eine Hymne gegen die Anpassung nach der anderen servierten, lebte Judith Holofernes schon die "Träume anderer Leute". Sie rockte Ring und Park, während ihre Beine sie vor Schmerzen kaum mehr auf die Bühne trugen. Sie legte ihr Neugeborenes einem äußerst mangelhaften Au-pair-Mädchen auf den Schoß, weil alles andere die Veröffentlichung des letzten Albums der Band gefährdet hätte. Sie steckte sich den Finger in den Hals, um ihren Körper in Übereinstimmung mit internationalen Rockstarstandards zu bringen und erklärt den Widerspruch zu feministischen und selbst besungenen Idealen gefasst: "Der Sexismus ist ein böswilliger, höhnischer Chor, der direkt hinter dem Vorhang auf seinen Einsatz wartet. Wir sind nicht eitel, wir sind alle immer subtil in Panik, und das aus gutem Grund. Wir ändern unsere Körper nicht, um uns schön zu fühlen, sondern um uns in Sicherheit zu bringen."
"Was, du auch, Judith?", denken da all die, für die sie seit fast zwei Jahrzehnten ein Vorbild ist. Das permanente Verzweifeln an der eigenen Unzulänglichkeit als Angestellte, Partnerin, Frau und Mutter sollte doch den Normalsterblichen vorbehalten bleiben, nicht alle Heldinnen will man wirklich fallen sehen.
Doch die Sängerin stolpert und leidet, an ihren chronischen Krankheiten, die sie schon seit frühester Kindheit begleiten und an der Dauerfrage, wie sie das mit den Kindern und der Karriere so hinbekommt. Ihre Antwort: "Ich hatte als wahrheitsliebender Mensch wenig Interesse daran, zu erklären, wie ich das alles 'unter einen Hut' kriegte. Niemand, dachte ich, hat denselben Hut auf wie ich. Mein Hut ist ein Einzelstück, und außerdem ist er sehr klein, ein winziger, alberner Slash-Zylinder, und ich kriege überhaupt nichts darunter. Noch immer fragte übrigens niemand, jemals, nach Polas Hutgröße." Mütter - auch die, die völlig andere Hüte tragen als Judith Holofernes - nicken bei diesen Sätzen wissend, so eine schöne Metapher für dieses leidige Vereinbarkeitsproblem hat man lange nicht gelesen.
Diese Gabe zu benennen, die alle anderen auch haben, dafür aber Worte zu benutzen, die niemals abgenutzt klingen
Und so muss man es wohl aushalten, dass auch die schönsten und klügsten und kreativsten Frauen dieser Welt ähnliche Kämpfe kämpfen wie man selbst. Das Beste an Holofernes' Biografie ist - wie schon bei den Helden-Songs - ihre Gabe, Gefühle zu benennen, die alle anderen auch haben, dafür aber Worte zu benutzen, die niemals abgenutzt klingen. Im Metaphernschrank greift sie immer ein Stück neben den naheliegendsten Begriff und trifft damit oft umso genauer.
Man muss übrigens Wir sind Helden hören, während man das Buch liest, es geht kaum anders. Anfangs überwiegt dabei das schlechte Gewissen, sich die ganze Zeit Songs wie "Denkmal" und "Nur ein Wort" auf die Ohren zu hauen, während die Schöpferin Kapitel um Kapitel darum kämpft, mehr sein zu dürfen als "die Alte von Wir sind Helden". Und mit einer unerkannten Hirnhautentzündung schrammt sie dann auch noch knapp am Tod vorbei. Doch am Ende versöhnt sie sich, halbwegs, mit den Widersprüchen ihrer - nun ja, ein besseres Wort gibt es vielleicht einfach nicht - Karriere: "Erfolg ist eine Droge. (...) Man kann versuchen, sich den Schuss mit hochgezogener Augenbraue und ironischen Anführungszeichen zu setzen, aber in aller Regel wird sie einen lachend in den Abgrund schicken."
Je mehr Sprachkunst aus den Seiten purzelt, desto klarer wird, dass Judith Holofernes nur zufällig zwischendurch ein Rockstar war. Eigentlich war und ist sie einfach eine irrsinnig gute Autorin und man freut sich auf das Buch, das sie - wie sie im Buch schreibt - eigentlich schreiben wollte, "nicht dieses hier, sondern das andere, über meine Kindheit in Freiburg mit einer lesbischen Mutter in den Achtzigerjahren". Bitte, gerne! Hauptsache so floskelfrei, direkt und herzzerschießend wie alles, was Judith Holofernes bisher mit Worten gemacht hat.
SZ ERLEBEN NEWSLETTER
Geben Sie einfach Ihre Daten ein und abonnieren Sie kostenlos unseren Newsletter: