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Empfohlen von Marc Hoch, Süddeutsche Zeitung
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Die Seele ist das ganz und gar Unfassbare im Inneren eines Menschen. Man spürt sie in allen Formen des Handelns, sie drückt sich in Sprache und Mimik aus, aber sie ist nicht zu orten, nicht zu wiegen, nicht zu ermessen. Manchmal gibt es Porträtfotos, die dieses Innere nach außen stülpen und es atmosphärisch jenseits aller Vernunft erfahrbar machen. Die stille Dominanz, die dem Wirken der Seele innewohnt, wird so für einen Augenblick sichtbar – und wir werfen einen Blick in diesen Menschen und begreifen, wer er ist. Das ist bewegend und erschreckend zugleich, weil solche Fotos immer auch die Frage nach dem eigenen Leben stellen: Wer bin ich selbst?
Die amerikanische Fotografin Sherrie Nickol versteht es beinahe auf altmeisterliche Weise, dieses Innere nach außen zu kehren. In ihrer ersten großen Veröffentlichung im Hirmer-Verlag zeigt die New Yorkerin Porträtaufnahmen, die in ihrem Streben nach Wahrhaftigkeit berührend schön sind. Nickol fotografiert überwiegend junge Frauen „Face to Face“. Ihre Nahansichten offenbaren eine unglaubliche Intimität zwischen der Fotografin und ihren Modellen. Diese Frauen liefern sich geradezu schutzlos der Kamera aus, sie scheinen alles von sich preiszugeben, entweder um durch das Bild etwas Wesentliches über sich selbst zu erfahren oder dieses Wesentliche zu zeigen: Schüchternheit, erwachendes Selbstbewusstsein, den Wunsch, jemandem nahe zu sein, völlige Einigkeit mit sich selbst – alles das lässt sich in den jungen Gesichtern entdecken. Es ist eine Freude, diese Fotos, die jede Zweideutigkeit vermeiden und wahrhaftig sind, wie eine Quelle wahrhaftig ist, zu studieren.
Vor allem in den Schwarz-Weiß-Fotos, die im natürlichen Licht am Fenster oder draußen in der Natur entstanden, verdichtet Nickol das Wesen ihrer Frauen. Ihren Bildern haftet dabei eine völlige Zeitlosigkeit an. Sie könnten im 19. Jahrhundert entstanden sein und erinnern an die große Julia Margaret Cameron. Ihre Farbfotos fallen dagegen ein wenig ab. Nickol fehlt zuweilen das Gespür, Farben auf harmonische Weise zu kombinieren. Ihre bunten Porträts vor schwarzer oder heller Rückwand im Kunstlicht wirken eher naturalistisch, ihnen fehlt die seelenhafte Zuspitzung.
Das Buch bietet neben den Porträts eine große Werkschau der Fotografin. Straßenfotos, rätselhafte Szenen, die an Francesca Woodman erinnern, Strandansichten wie von Martin Parr abgeschaut, Eindrücke von ihren Reisen. Nickol will mit ihren Fotos Geschichten erzählen, doch im Hin und Her zwischen Schwarz-Weiß und Farbe, digitalen und analogen Fotos, Gruppen- und Einzelszenen geht ihre persönliche Handschrift verloren. Eine strengere Auswahl hätte der talentierten Fotografin sicherlich gutgetan.
Ihre Kunst bleibt indes das Zwischenmenschliche, und so schön ihre Porträts am Ende sind, so schön sind ihre Beobachtungen zu Kindern und Liebenden am Anfang. Wieder ist es die Intimität, die aus ihren Bildern spricht: zwei Jungen (Brüder?) im Sommer von ganz nah, der eine selbstbewusst, der andere zaghaft, ein Heranwachsender im Übergang zwischen sicherer Kindheit und ungewisser Zukunft. Diese Bilder sind voller Stimmung wie das aus der Vogelperspektive aufgenommene Paar am Strand, das in der Einheit aus Sonne, Strand und Meer eingebunden ist in eine Zeitkapsel des Glücks. Solche Fotos reduzieren das Leben auf seine Essenz.
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